Der Mailänder Staatsanwalt Roberto Doni hat eine langjährige Karriere hinter sich, während der er selten einen Fall verloren hat. Da wird ihm ein auf den ersten Blick eindeutiger Fall übertragen: Khaled, ein junger Tunesier, wird beschuldigt, an einem Raubüberfall beteiligt gewesen zu sein, der eine junge Frau in den Rollstuhl gebracht hat. Der Angeklagte hat kein bekanntes Alibi und verweigert die Aussage. Für Doni ist klar, dass es auf eine Verurteilung hinaus laufen wird, da wird er von der Journalistin Elena Vicenzi kontaktiert, die fest von Kahleds Unschuld überzeugt und der Meinung ist, dass er ein Alibi hat, das sie nur finden müssten. Ihren Recherchen nach passt diese Art von Verbrechen nicht zu Khaled, der eine Aufenthaltsgenehmigung und eine feste Arbeitsstelle und somit keinen Grund hat, sich auf kriminelle Geschäfte einzulassen. Doni ist zunächst alles andere als begeistert, lässt sich allerdings doch darauf ein, sich Khaleds Lebenswelt in einem Mailänder Vorort, der primär von Migranten bewohnt wird, zu zeigen. Dort wird er nicht nur mit einer von seinen eigenen stark abweichenden Lebenswelt, sondern auch mit einigen Vorurteilen konfrontiert, denen er sich auch schuldig findet. Nach einigen Gesprächen stoßen sie tatsächlich auf jemanden, der Khaled entlasten könnte, doch dieser weigert sich zunächst, mit ihnen zu reden. Doni versucht immer wieder, die Journalistin abzublocken und dem Fall seinen Lauf zu lassen, diese bleibt allerdings hartnäckig und schafft es schließlich, den Zeugen davon zu überzeugen, mit ihnen zu reden. Als auch dieser ihnen kein hieb- und stichfestes Alibi für Khaled geben kann, fühlt Doni sich darin bestätigt, dass es keine Grundlage gibt, auf der er den Fall neu aufrollen lassen kann. Immer wieder beteuert er sich selbst gegenüber, dass die Sache es offensichtlich nicht wert ist, dafür seine Karriere und den hart erarbeiteten Status zu riskieren. Als der befragte Zeuge kurz darauf ermordet wird, ist Doni allerdings gezwungen, seine Position und seine Prioritäten zu überdenken…
Wie auch schon „Tod eines glücklichen Menschen“ hat mich „Im Namen der Gerechtigkeit“ sowohl sprachlich als auch thematisch begeistert. Fontanas literarischer Stil macht einfach Spaß, auch wenn die im Buch angesprochene Thematik eine eher schwere ist. Die Parallelwelt, in der viele Migranten, vor allem solche aus afrikanischen Ländern, (meist gezwungenermaßen) leben, ist für viele ein unbekanntes Terrain. Trotzdem, oder gerade deshalb, ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Wie sehr die Vorstellungen der „Einheimischen“ von den Migranten von dem tatsächlichen Bild unterscheiden, merkt man deutlich an einer Szene, als Doni einen der Mitarbeiter Khaleds von der Baustelle befragt und sichtlich erstaunt ist, dass dieser in seinem Herkunftsland als Mathematiklehrer gearbeitet hat. Der Umstand, dass viele Migranten Jobs unter ihrem Bildungsniveau annehmen müssen, um in ihrem neuen Heimatland über die Runden zu kommen, suggeriert oftmals jenen, die sich nicht näher damit beschäftigen, dass es sich um ungebildete Menschen handelt, was wiederum viele weitere Vorurteile schürt. Diese werden im Roman aufgezeigt, allerdings wieder ohne dass mit erhobenem Zeigefinger gepredigt wird. Es macht nur deutlich, wie diese Vorurteile in Doni wirken, der Khaled zunächst sofort in die Schublade „krimineller Ausländer“ steckt, ohne zu viele Gedanken daran zu verschwenden, seine Bilder der Menschen jedoch an mehreren Stellen revidieren muss.
Auch dieser Roman ist dabei keineswegs politisch fordernd, Donis Standpunkt und seine Beweggründe leuchten dem Leser ein, er ist absolut keine unsympathische oder gar fremdenfeindliche Person. Genau das macht ihn allerdings so alltäglich: er ist niemand, der pauschal über eine Gruppe von Menschen urteilt, sich aber unbewusst trotzdem ein nicht immer vorteilhaftes Bild von ihnen macht, das sich erst bei näherer Betrachtung als unzulänglich erweist. Dieses Spannungsfeld zwischen der bisherigen Lebenswirklichkeit Donis und den dazu kontrastierenden Realitäten, die er im Laufe der Ermittlungen entdeckt, ist es, was den Roman so spannend macht. Letzendlich geht es aber auch Recht und Gerechtigkeit und die Frage, was davon in welchem Maße wem zusteht. Die Thematik mag zunächst schwer anmuten, doch der gelungene Spannungsbogen und nicht zuletzt Fontanas großartiger Schreibstil führen dazu, dass sich das Buch sehr gut lesen und keine Minute der Langeweile aufkommen lässt.
Die äußerst positive Resonanz, die das Werk in Italien bekommen hat, ist meiner Meinung nach mehr als gerechtfertigt, daher eine klare Leseempfehlung meinerseits.
Girogio Fontana
Im Namen der Gerechtigkeit
Gebundene Ausgabe, 256 Seiten
Verlag: Nagel & Kimche
ISBN: 978-3312005734