New York im Jahre 1919: mitten in Brooklyn befindet sich eine altehrwürdige Buchhandlung, in der auch noch der extravaganteste Lesestoff zu finden ist. In endlosen Regalen stehen neben dem alltäglichen Lesestoff auch literarisch wertvolle Ausgaben unterschiedlichster Couleur. Gepflegt wird das ganze Sammelsurium von dem Buchhändler Roger Mifflin, dessen Leidenschaft sich in einem schier unerschöpflichen Wissen über Bücher manifestiert. Gemeinsam mit seiner Frau Helen und dem Hund Bock führt er ein Leben, das ganz im Zeichen der Literatur steht. Eines Tages taucht im Laden der junge Aubrey Gilbert auf, der im Auftrag einer Werbeagentur Mifflin als Kunde zu gewinnen versucht. Dieser gibt Aubrey zwar eine deutliche Absage, aber dennoch entwickelt sich im Laufe der Zeit eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden. Doch zwei unerwartete Ereignisse führen zu einer gänzlich unerwarteten Störung des ansonsten friedlichen Alltags. Zunächst verliebt sich Aubrey Hals über Kopf in die stolze Titania, die als Tochter aus wohlhabendem Hause lernen soll, auf eigenen Füßen zu stehen und aus diesem Grund von Mifflin als Ladengehilfin eingestellt wird. Gleichzeitig scheint es in Mifflins Laden zu spuken, denn gelegentlich tauchen Bücher wieder auf, die vorher verschwunden zu sein schienen. Ohne dass sie es ahnen, werden die Mifflins, Aubrey und Titania zum Spielball ominöser Vorgänge, die zur Gefahr für Leib und Leben werden.
Bevor man dieses Buch beurteilt, sollte man sich darüber im Klaren sein, dass es von Christopher Morley (1890-1957) bereits im Jahre 1919 geschrieben wurde. Eine Zeit, in der die Hauptaufgabe von Frauen noch darin bestand, in jungen Jahren hübsch zu sein und nach der Heirat zur guten Hausfrau zu werden. Zudem ist jeder an jedem Ort und zu jeder Zeit am Rauchen und sicherlich wurde auch hochprozentigem Alkohol eine medizinisch vorteilhafte Wirkung für Körper und Geist zugesprochen. Man darf also durchaus davon ausgehen, dass in diesem immerhin fast hundert Jahre altem Klassiker ein etwas antiquiertes Frauenbild genauso vorherrscht, wie eine gänzlich unkritische Haltung zu Tabak und Alkoholkonsum. Der zweite wesentliche Einfluss auf Christopher Morleys Roman Das Haus der vergessenen Bücher ist seine Leidenschaft für Sherlock-Holmes-Romane, die soweit ging, dass er sogar in den USA einen Club gründete, in dem über Arthur Conan Doyles (1859-1930) Geschichten debattiert wurde. Morley legte sogar die Regeln des Sherlockian Reading fest, einem Leitfaden zum richtigen Lesen von Dr. Watsons Aufzeichnungen. Aus diesem Club ging später die Sherlock-Holmes-Gesellschaft der Baker Street Irregulars hervor.
Das Haus der vergessenen Bücher ist mit seinen knapp hundert Jahren ein „alter Schinken“ und teilweise merkt man ihm es auch an. Nichts desto trotz ist es ein sehr unterhaltsames Werk und gerade für Buchliebhaber (wie mich) nahezu eine Pflichtlektüre, die sich unter anderem dadurch auszeichnet, dass sich zwischen den Zeilen viele Zitate und Aphorismen verstecken und von einer hohen literarischen Gelehrtheit des Schriftstellers zeugen. Auf den ersten Seiten mag es dem Leser ein wenig schwer fallen, durch die Sprache in die Geschichte hinein zu kommen, aber diese Unsicherheit legt sich schnell und man fühlt sich schließlich sehr wohl mit der vorherrschenden, durchaus freundlichen und beinahe eloquenten Ausdrucksweise der Protagonisten, die noch aus einer Zeit stammt, in dem sich die Menschen noch mit gegenseitigem Respekt begegneten. Die Charaktere sind vielleicht nicht ganz so vielschichtig aufgebaut, wie wir es aus heutigen Romanen gewohnt sind (und gerne sehen), das ist aber meines Erachtens der Zeit zuzuschreiben, in der der Roman geschrieben wurde. Gerade die Frauen scheinen mehr klischeehafte Randfiguren als handlungsbestimmende Protagonistinnen zu sein, dem zu Folge sind sie zum Verlieben da bzw. müssen natürlich später aus den Fängen ehrloser Banditen befreit werden. Das mindert aber die Liebenswürdigkeit der Geschichte in keiner Weise. Man merkt durchaus, dass Morley großen Gefallen am englischen Kriminalroman hatte und Sherlock-Holmes-Freunde werden sich recht schnell wohl fühlen. Nichts desto trotz steht aber die Literatur im Vordergrund und dient als Aufhänger für den Spionagefall, der sich nach und nach herauskristallisiert. Dem Leser fliegen aber nicht unbedingt Kugeln um die Ohren, denn Hochspannung wird angesichts der zurückhaltenden Beschreibung von Gewalt nicht erzeugt. Eher eine „englische“ Neugier. Aber auch hier muss ich sagen, dass der Roman dadurch nichts verliert, ist es doch eine dankenswerte Abwechslung zu den heute üblichen, sich in blutigen Grausamkeiten überbietenden Thrillern.
Dieses Buch ist ein großer Schatz, den man immer wieder gerne aus dem Regal zieht. Sympathische Protagonisten und ein zwar klassisch angestaubter, aber sehr schöner Plot laden dazu ein, am Samstagabend die Glotze mal aus zu lassen, sich einen Whisky ein zu gießen (einen Bowmore Small Batch halte ich für passend) und sich ganz in das Brooklyn der 1910er Jahre und seinem schon liebenswerten Buchladen einzulassen.
Klassisch, schön und lesenswert.
Christopher Morley
Das Haus der vergessenen Bücher
Taschenbuch, 256 Seiten
Verlag: Atlantik
ISBN: 978-3455600124