Abbas Khider: Ohrfeige

Abbas Khider: Ohrfeige

Der irakische Flüchtling Karim betritt die Ausländerbehörde, wo er nur einen Wunsch hat: dass ihm nach den drei Jahren, die er nun schon in der Ungewissheit in Deutschland lebt, endlich jemand zuhört. Da ihm dieser Wunsch nicht freiwillig gewährt wird, fesselt er seine Sachbearbeiterin und zwingt sie, sich endlich seine Geschichte anzuhören. Drei Jahre zuvor war er aus einem illegalen Transporter mitten in den harten bayrischen Winter hineingeworfen worden, obwohl sein Ziel eigentlich Paris hätte sein sollen. Verfroren und ziemlich hilflos wird er von der Polizei festgenommen, die ihn gleich zu einem Verhör mit auf die Wache nimmt, wo ihm all sein Geld abgenommen und er einer Aufnahmestelle zugeteilt wird. Dort angekommen sieht er sich mit den vielfältigen Problemen der deutschen Asylbewerberheime konfrontiert: die Menschen bilden, je nach Herkunft und Sprache, Gruppen, die zum Teil gegeneinander agieren. Hinzu kommt, dass der schwierige Umgang der deutschen Behörden den Flüchtigen zusetzt und die Asylpolitik die Angehörigen der verschiedenen Gruppen unbewusst gegeneinander ausspielt, was die Stimmung im Heim nicht gerade verbessert. Zusätzlich zu den bürokratischen Problemen haben die einzelnen Bewohner natürlich auch mit ihrer eigenen Vergangenheit und den Ursachen ihrer Flucht zu kämpfen. Inmitten dieser Wirren versuchen sie, sich irgendwie in Deutschland durchzuschlagen und ein einigermaßen angenehmes Leben zu führen. Karim beschreibt seiner Sachbearbeiterin auch eindrücklich seine Sehnsüchte nach einem normalen Leben, wie er und die anderen neidisch die deutschen Familien im Einkaufscenter beobachteten und sich wünschten, ein Teil dieses Lebens sein zu können. So zieht sich Karims Bemühen, eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, immer weiter ergebnislos hin. Bis die Anschläge des 11. September stattfinden, die USA in den Irak einmarschieren, um ihn zu „befreien“ und er und alle anderen arabisch aussenden Menschen plötzlich unter Generalverdacht geraten.

Ich muss gestehen, dass ich mich zunächst etwas gesträubt habe, das Buch zu lesen, einfach aufgrund der Tatsache, dass ich selbst als Flüchtling in den 1990ern nach Deutschland kam und, obwohl noch ein Kind und von den Eltern behütet, einige weniger schöne Erinnerungen aus dieser Zeit zurückgeblieben sind. Deshalb fällt es mir mitunter schwer, Literatur wie diese zu lesen.

Nicht so bei diesem Buch: trotz des schonungslosen Berichts über die Schwierigkeiten und Leiden, die Karim und seine Mitbewohner in Deutschland durchmachen, behält der Protagonist und Ich-Erzähler des Romans bei seinen Schilderungen fast immer einen witzigen, manchmal sarkastischen Unterton bei, ohne die ganzen negativen Emotionen, die Karim und seine Freunde durchmachen, dadurch abzuwerten. Manchmal weiß man als Leser wirklich nicht mehr, ob man lachen oder weinen soll, an vielen Stellen tat ich beides zugleich. Ungeachtet der Geschichte ist der Stil des Autors ebenfalls eine Lektüre wert, die sprachlichen Bilder, mit denen er arbeitet, sind mehr als gelungen und runden die Geschichte ab. Alles in allem war dieses Buch jede Minute, die ich es lesen durfte, wert.

Eine Empfehlung reicht in diesem Falle nicht aus, diese Geschichte ist ein absolutes Muss.

Zum Autor: Abbas Khider wurde 1973 in Bagdad geboren. 1994 wurde er im Irak aus „politischen Gründen“ verurteilt und floh nach einer zweijährigen Gefängnisstrafe nach Europa, wo er sich als „illegaler“ Flüchtling in diversen Ländern aufhielt, bis er 2000 nach Deutschland kam. Dort studierte er Philosophie und Literaturwissenschaft in Potsdam und München und veröffentlichte Lyrik in diversen Publikationen. 2013 folgten der Hilde-Domin-Preis für Literatur im Exil und der Nelly-Sachs-Preis der Stadt Dortmund.

Abbas Khider
Ohrfeige

Gebundene Ausgabe, 224 Seiten
Verlag: Hanser
ISBN: 978-3446250543