Paul Pfeile ist der Inbegriff des schwäbischen Spießers. Seine Welt dreht sich um sein kleines Unternehmen für Präzisionsbohrer und Spätzle mit Linsen & Seitlingen. Ansonsten ist alles außerhalb seines bescheidenen Wirkungskreises, in dem an alles und jeden ein -le angehängt wird, nahezu Feindesland. Da ist es natürlich reichlich ungeschickt, dass sein Schneckle Merle ausgerechnet mit einem Südamerikaner in dessen Heimat durchgebrannt ist. Pfeile engagiert kurzerhand seinen Produktfotografen Rudi, der bereits in Südamerika war und sich auch sprachlich dort durchkämpfen kann, um mit ihm zusammen seine geliebte Merle wieder zurück an den heimischen Herd zu holen. Doch kaum auf südamerikanischem Boden angekommen, muss sich Pfeile mit den Widrigkeiten einer Reise herum plagen und sieht sich nicht nur mit einer ihm unverständlichen Kultur, sondern auch mit dem kettenrauchenden Rudi, einem verlorenem Gebiss und komischem Essen konfrontiert. Missmutig begibt sich Pfeile mit dem vollkommen gegensätzlichen Rudi auf eine Reise quer durch den Kontinent und hofft, dass er diesem dort gesuchten, argentinischem Tunichtgut seine geliebte Merle baldigst entreisen kann.
Das -le in „Merle“ gehört übrigens zum Namen und ist mitnichten dem schwäbischen Dialekt zuzurechnen.
Helga Jursch hat einen Roadmovie der ganz anderen Art geliefert. Keineswegs düster und schwermütig, sondern heiter und voller (liebevoller) Spitzen gegen das Volk der sonderbaren „Verniedlicher“, die Spätzle und Linsen miteinander mischen und das auch noch gut finden. Als kurpfälzischer Badenser kann ich darüber natürlich nur den Kopf schütteln und hoffen, dass die A6 und die A8 noch eine Weile den Ruf ständiger Baustellen und Staustrecken behalten, damit sowohl solche kuriosen Mahlzeiten als auch komische Begrifflichkeiten wie Breschdlengsgsälz, Butzameggerler oder wonderfitzig da bleiben, wo der VfB trainiert (uffm Abstiegsplätzle). Kurz: die Schwaben scheinen irgendwie alle ä Schlägle* abbekommen zu haben.
Zurück zu Rudi, Paul und seiner Merle. Tango im Dreivierteltakt ist natürlich keine schwäbische Novelle im Stil von Die Kirche bleibt im Dorf, sondern eher ein Reisebericht zweier sehr konträrer Menschen, die sich eigentlich gar nicht riechen können. Während der Fotograf Rudi jeden Moment der Reise nutzt, um die Schönheiten der Natur zu genießen, bleiben diese dem ewig miesepetrigen Paul verschlossen, der verständlicherweise nur Augen für das eigentliche Ziel hat. So verfolgen uns ständige Streitereien und Gefrotzel durch den ganzen Roman und trüben ein wenig den Genuss der eigentlich schön beschriebenen, südamerikanischen Menschen und Landschaften. Insgesamt fällt es dem Leser auch ein wenig schwer, einem der Protagonisten seine Sympathien zu schenken, denn beide haben so viele Macken, dass wir gelegentlich den Wunsch verspüren, wenigsten manchmal einen auszuschalten, um selbst die Landschaftsbeschreibungen in Ruhe genießen zu können. Vielleicht hat Helga Jursch den beiden Männern ein bisschen zu wenig Freiraum gelassen, ihre Sicht auf die Welt ein wenig korrigieren zu können, dies hätte dem Roman sicherlich stellenweise gut getan. Andererseits ist aber natürlich auch gerade dieser ewige Männer-Disput ein zentrales Thema des Romans. Am Ende hat aber jeder der Beteiligten etwas dazu gelernt und wir werden mit einem für einen klassischen Roadmovie eher untypischen Happy End belohnt. Also keine Schwaben, die mit einem Cabriolet über die Klippe rauschen.
Helga Jursch gehört noch zu den Autorinnen, die in eher unbekannten Gewässern schwimmen. Das Buch wurde via BoD von der Amazon Distribution GmbH, Leipzig gedruckt und ist durchaus anständig. Während oftmals bei BoD-Ausgaben durch die Verringerung von Schriftgröße und Zeilenabstand Seiten eingespart werden, ist hier die Typografie in angenehmer Lesegröße angelegt. Inhaltlich ist der Roman sicherlich verbesserungsfähig, aber nichtsdestotrotz hat mir der schwäbische Lokalkolorit in südamerikanischer Umgebung durchaus gefallen und hat mich gut amüsiert. Auf alle Fälle merkt man, dass die Autorin bereits vor Ort war und die Landschaften erlebt hat, die sie beschreibt. Insgesamt ein netter Roman, der zwar noch nicht wirklich für die große Bühne geeignet ist, aber dem man durchaus eine Chance geben kann (es wird auch kaum geschwäbelt). Mit einer leichten Nachbearbeitung könnte daraus ein richtig guter Roman werden, den ich mir sogar sehr gut als Film vorstellen könnte.
Den Tango im Dreivierteltakt habe ich gerne gelesen und Helga Jursch kann man durchaus weiterhin beobachten, ich bin gespannt, was da noch so kommt.
Helga Jursch
Tango im Dreivierteltakt
Taschenbuch, 240 Seiten
Verlag: CreateSpace Independent Publishing Platform (5. August 2015)
ISBN: 978-1515189343
*Die verniedlichen sogar medizinische Notfälle: Schlägle ist die schwäbische Bezeichnung für einen leichten Herzinfarkt und/oder Hirnschlag (für welches von beiden weiß ich nicht, vermute aber letzteres).