Willy Vlautin: Die Freien

Willy Vlautin: Die Freien

Leroy Kervin ist schwer verletzt aus seinem Einsatz im Irak zurückgekehrt. Seit er eine Kopfverletzung davontrug, liegt seine gesamte Welt im Nebel. Als er zum ersten Mal seit Jahren einen kurzen, klaren Moment hat, gerät er in Panik darüber, dass dies das letzte Mal sein könnte und versucht, sich umzubringen. Dies schlägt er allerdings fehl und er kommt noch schwerer verletzt als zuvor ins Krankenhaus. Die Menschen in seiner engeren Umgebung haben auch nicht weniger zu kämpfen: Freddie McCall, der die Nachtschicht in Leroys Wohngruppe hat, muss noch weitere Jobs machen um die Arztrechnungen seiner kleinen Tochter zu bezahlen, die bei seiner Exfrau und deren neuem Freund in Las Vegas lebt. Die Hypothek auf sein Haus, das er von seinen Eltern geerbt hat, kann er schon lange nicht mehr abbezahlen, für Gas und Strom reicht es auch nicht mehr. Die Krankenschwester Pauline, die sich neben ihrem Job noch um ihren psychisch kranken Vater kümmern muss, kämpft verzweifelt um das Leben der jungen Jo, die von Jungs auf der Straße drogensüchtig gemacht und missbraucht wird. Zugleich kümmert sie sich im Krankenhaus um Leroy, der in Fieberträumen nach dem Sinn seines bisherigen Lebens sucht und diesen nicht finden kann. Als sich sein Zustand weiter verschlechtert und Jo spurlos verschwindet, fällt der Beruf ihr immer schwerer und auch Freddie gerät zunehmend an seine Grenzen …

Vlautins Buch trifft einen eiskalt, vor allem weil die Geschichten so authentisch sind. Die Figuren des Romans sind alles andere als frei, schlicht weil ihnen das Geld dazu fehlt. Für sie ist ihre Heimat ein kaltes Land ohne Gnade, in dem man es entweder auf sich selbst gestellt schaffen kann, oder schlicht untergeht. Die Geschichten rühren einen zutiefst und lassen einen so schnell nicht los, weil man weiß, dass diese Schicksale keine Einzelfälle sondern, vor allem seit der Wirtschaftskrise, Alltag sind. Er schafft es, jenen, die sonst nicht zu Wort kommen, weil niemand ein Interesse daran hat, sie zu hören, eine authentische Stimme zu geben und das macht den Roman zu einem kraftvollen Statement gegen die Schieflage des Systems, gegen die Gleichgültigkeit und Kälte eines Landes, das sich damit rühmt, jedem, der nur hart genug dafür arbeitet, eine Chance zu geben. Ob dies jemals so war, sei dahingestellt, mit der heutigen Realität hat es allerdings gar nichts zu tun und dies verdeutlicht Vlautin auf eindrucksvolle Art und Weise in seinem Werk.

Die Helden des Romans stellen fest, dass der amerikanische Traum längst tot ist, zurückgeblieben ist nur die Kälte des Überlebenskampfes, dem sie sich täglich ausgesetzt sehen. Als Leser fiebert, kämpft, strauchelt man mit ihnen, fühlt ihre Hoffnungslosigkeit, die Verzweiflung, den Wunsch nach einem wenigstens einigermaßen erträglichen Leben für sich und ihre Mitmenschen. Er ist somit auch ein Plädoyer für die Empathie, für den Zusammenhalt und die Menschlichkeit, die in solch einem Umfeld letztlich der einzige Weg sind, um das Leben einigermaßen lebenswert zu machen.

Ein ganz toller, starker, poetischer Roman, dem ich absolut jedem ans Herz legen möchte.

Willy Vlautin
Die Freien

Gebundene Ausgabe, 320 Seiten
Verlag: Berlin Verlag
ISBN: 978-3827011763