Olaf Ludmann: Die Rede der Religion

Olaf Ludmann: Die Rede der Religion

"Hohe Versammlung! In eurem Vorladungsschreiben, das ihr mir so dringlich zustellen ließet, waltet ein gewisse Härte der Sprache, mit welcher ihr mich, die Religion, auffordert vor euch zu erscheinen, um Rede und Antwort zu stehen …"

So würde nach Ansicht des Frankfurter Philosophen Olaf Ludmann die Religon eine Rede beginnen, wäre sie dazu aufgefordert, sich selbst zu rechtfertigen. Was folgt ist eine sehr intelligente Rede, die gerade in den aktuellen Tagen – geprägt von Flüchtlingsdramen und der damit einhergehenden, allgemein geschürten Angst vor Andersgläubigen – eine gewisse Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt, denn sie schafft es sehr gut, sich sozusagen als „ideelle Essenz des Glaubens an sich“ zu präsentieren und alle Glaubensgemeinschaften gleichermaßen zu verteidigen. Zwar hat sie es zuweilen schwer, die Vorurteile der Anwesenden zu zerstreuen, doch wird schnell deutlich, dass die Religion sich eigentlich gar nicht selbst für irgend etwas entschuldigen muss, sondern mit einer gut gezielten Argumentation erläutet, dass es ja eigentlich der Mensch ist, der die de facto gute Idee der Religion zu seiner ganz persönlichen Bereicherung oder zur Erfüllung seines Strebens nach Macht missbraucht. Und so fordert sie am Ende von Ihren Gläubigen, aber auch den Kritikern, nicht etwa blinden Gehorsam oder ein unmündiges Hinterher-Rennen, sondern eine eher kontemplative Haltung verbunden mit der Aufforderung, in sich zu gehen und die eigene Vernunft und Klugheit zu suchen.

Vernunft und Klugheit zeigt Olaf Ludmann auch in seinem zweiten Text "Identität Individualität Bestialität", in dem er sich mit der Frage beschäftigt, ob der Mensch in einer Gesellschaft, in der ihm alles jederzeit zur Verfügung steht, nicht seine Individualität verliert. Anders als in "Die Rede der Religion" wird hier der Leser durchaus mit einer etwas schwierigeren Analyse gefordert, zu der man nicht immer sofort den Zugang findet. Doch wie schon in seinem ersten Text findet Ludmann auch hier Gleichnisse, die seine Gedanken sehr gut vermitteln und als hilfreiche Brücken zwischen unserem (dezent begrenzten) Horizont und seinem theoretisch-geistigen Denken dienen. Sehr angetan war ich in diesem Zusammenhang von der Idee, den Begriff Markt und dessen Wirken mittels eines Chirurgen/Patienten-Verhältnisses zu erläutern, was zwischen den Zeilen sogar schon fast als Humor empfunden werden könnte. Wenn man am Ende dieses Abschnitts den Satz liest: "Das Ergebnis: Der Patient siecht, aber effizient." (S.29, Z.2), dann kann man sich ein Schmunzeln wirklich kaum verkneifen. Aber … man hat auch tatsächlich verstanden, was er uns damit sagen will. Und am Ende des Buches denkt man sich dann auch: „Eigentlich hat er recht.“

Wie kommt man als „normaler“ Leser, der gewöhnlich irgendwo zwischen Belletristik und vielleicht mal einem Sachbuch pendelt, zur Philosophie? Eigentlich nur durch Zufall (an dieser Stelle Danke an Frau Rörsch von der Agentur mainwunder in Frankfurt). Doch in diesem Falle war es gewissermaßen ein glücklicher Zufall, denn Olaf Ludmanns "Die Rede der Religion" ist – anders als wir es bei den klassischen Philosophen empfinden mögen – eine sehr lebensnahe Betrachtung von modernen Fragen, die uns eigentlich alltäglich beschäftigen bzw. mit denen wir im täglichen Leben konfrontiert werden. Zudem bieten die oben erwähnten Verständnis-Brücken in Form von Vergleichen oder kleinen Geschichten eine wunderbare Hilfestellung beim Zugang zur Theorie, ohne dabei ihre philosophische Logik zu beschädigen. So wird Olaf Ludmanns Blick auf die Religion und unsere Individualität zu einer wunderbaren, ganz persönlichen Insel des kurzen In-sich-kehrens und Nachdenkens über unser eigenes Leben und Persönlichkeit. Und natürlich auch auf unseren eigenen Glauben, welche Form dieser auch immer haben mag.

Wirklich sehr gut fand ich insbesondere die Frage nach dem Zweck der Philosophie, auf die uns Olaf Ludmann eine sehr ehrliche Antwort gibt. Natürlich stellt man sich als Nicht-Philosoph irgendwann die Frage, für was die ganze Theorie eigentlich gut sein soll, doch Ludmann hilft uns auch hier mit einer verständlichen Definition weiter:

„Wer philosophiert sucht Erkenntnis im reinen Beschauen der Dinge, frei vom Anspruch auf Nutzen, Gewinn, Effizienz. […] Philosophische Stimmen sind leise, verursachen keinen Lärm und sind nicht auf Sensation aus.“

In diesem Sine möchte ich Olaf Ludmanns "Die Rede der Religion" jedem an’s Herz legen, der dazu bereit ist, die Hektik, den Stress und sämtliche weltliche Vergnügen für einen Moment auszublenden, um für einen kurzen Augenblick – 65 Seiten sind nun wirklich nicht zu viel dafür – einen tieferen Blick auf sein eigenes Dasein & Denken zu werfen und ein bisschen über sich selbst zu sinneren.

Olaf Ludmann
Die Rede der Religion

Gebundene Ausgabe, 64 Seiten
Verlag: buch & netz (27. Februar 2014)
ISBN: 978-3038050315