David Vann: Goat Mountain

David Vann: Goat Mountain

Ein elfjähriger Junge fährt mit seinem Vater, Großvater und einem Freund auf ein Jagdwochenende zum Goat Mountain, wo man dem Jungen versprochen hat, dass er an diesem Wochenende seinen ersten Hirsch schießen darf. Kurz nach ihrer Ankunft entdecken die Männer einen Wilderer auf ihrem Gelände und überlegen, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollen. Als der Junge darum bittet, dass man ihm den Wilderer näher zeigt, lässt der Vater ihn durch das Zielfernrohr seines Gewehres blicken, nicht ahnend, dass der Junge abdrücken und anstelle seines ersten Hirsches den Wilderer erschießen würde. Völlig schockiert machen die vier sich auf den Weg zum leblosen Körper des Wilderers und versuchen, eine Strategie zu entwickeln, wie sie mit der Tat des Jungen umgehen sollen. Während Tom, der Freund, von Reue geplagt, alles der Polizei erzählen möchte, droht der Vater des Jungen ihm damit, der Polizei zu erzählen, er, Tom, sei der Täter gewesen und wolle es auf den Jungen schieben. Unschlüssig, wie sie verfahren sollen, schaffen sie die Leiche zu ihrem Lager und hängen sie in einen Sack gewickelt auf einen Haken wie ein geschossenes Wild, sodass der Körper dem Jungen stets vor Augen ist. Die Hoffnung, dass er Reue über seine Tat zeigt oder sich dafür entschuldigt, bleibt allerdings vergebens: im Gegenteil, der Junge ist völlig aufgeregt über seinen ersten Schuss, der so gut gezielt verlief. Der Mangel an negativen Reaktionen über seine Tat bringt die Männer immer näher an ihre Grenzen. Während Tom sich immer mehr zurückzieht, sucht der Vater des Jungen nach einer Lösung, wie sie aus der Situation kommen und der Großvater demonstriert seinen Wahnsinn, indem er seinen eigenen Sohn und Enkel attackiert und gar versucht, den Enkel zu töten, weil er in ihm ein Monster sieht, das seiner Meinung nach für die ungeheuerliche Tat bezahlen soll. So schreitet das Wochenende voran und die Spirale aus Schuld, Gewalt, Gegengewalt und Realitätsverlust zieht sich immer enger um die vier.

David Vann hat mit diesem Buch ein wortgewaltiges, beklemmendes, beängstigendes und zugleich poetisches Werk geschaffen, das den Leser in eine düstere Welt entführt, die einen nicht so schnell loslässt. Vor allem der Umstand, dass der Junge hier als Ich-Erzähler fungiert und man als Leser die ganze Zeit in seinem Kopf und seinen vermeintlich ungeheuerlichen Gedanken steckt, trägt dazu bei, das Unfassbare auf gewisse Weise nachvollziehbar zu machen, was das Ganze noch bedrückender macht. Vor allem der absolute Mangel an Reue oder Verständnis darüber, wieso seine Tat derart verwerflich gewesen sein soll, lässt einem an einigen Stellen den Atem stocken, weil es einen in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele blicken lässt, die umso gruseliger werden, je mehr man sich verdeutlicht, dass der Protagonist ein Kind von gerade einmal elf Jahre ist. Ein meisterlicher Kniff des Autors sind auch die Momente der Selbstreflexion des Jungen, der die Geschichte rückblickend als erwachsener Mann erzählt: je mehr er von seiner Erziehung, der Art wie man in seiner Familie über das Töten gesprochen hat, erfährt, desto plausibler werden seine Gedanken und Taten für den Leser und gelegentlich erschreckt man über sich selbst, weil es derart nachvollziehbar wird. Allerdings wird auch mit dieser Identifikation an einigen Stellen gebrochen, an denen man merkt, dass die Erinnerung des Erzählers immer noch durch den Filter der Kindheit beschrieben wird und deshalb keineswegs hundertprozentig zuverlässig sein kann. Zudem erwähnt er an mehreren Stellen, dass sein ungeheuerliches Handeln damals nur der Anfang seiner Persönlichkeitsentwicklung war, wobei man sich unweigerlich die Frage stellt, inwiefern die Beschreibungen der Geschehnisse verändert wurden, um das erstehende Bild zu manipulieren. Mit all dem spielt Vann gekonnt, sodass die Geschichte einen derart in den Bann zieht und vollkommen umgibt wie ein dunkler, abgründiger Wald und zugleich ist man genau wie in einem solchen stets auf der Hut, weil man nie genau weiß, welchen dargebotenen Bildern man trauen kann oder nicht.

Trotz der explizit beschriebenen Gewalt und den zum Teil schwer zu ertragenden Reflexionen des Jungen kann man den Roman deshalb einfach nicht aus der Hand legen. Für zart besaitete Leser ist deshalb nicht zu empfehlen, für solche, die sich lieber von seicht dahinplätschernden netten Geschichten unterhalten lassen, auch nicht, aber wer gerne in Abgründe blickt und kein Problem damit hat, mit existenziellen Fragen konfrontiert zu werden, sollte diesen Roman unbedingt lesen.

David Vann
Goat Mountain

Gebundene Ausgabe, 270 Seiten (ab 10.01.16 auch als Taschenbuch)
Verlag: Suhrkamp
ISBN: 978-3518424551