Während eines Streites ermordet Yasuko unter der Mithilfe ihrer Tochter Misato ihren gewalttätigen Ex-Mann. Ganz unbemerkt bleibt der Vorfall in der kleinen Mietwohnung jedoch nicht, denn ihr Nachbar Ishigami, ein introvertiertes Mathematik-Genie, wird Zeuge des Verbrechens. Ishigami, heimlich in Yasuko verliebt, bietet ihr seine Hilfe an und verschafft Mutter und Tochter das perfekte Alibi – ganz im Sinne mathematischer Perfektion. Doch sein Genie wird auf eine harte Probe gestellt, als zufällig sein ehemaliger Kommilitone Yukawa, ein brillianter Physiker, in die polizeilichen Ermittlungen eingeschaltet wird. Ein packendes Katz und Maus-Spiel zweier Superhirne beginnt.
Keigo Higashino, 1958 in Ōsaka geboren, ist hierzulande wohl eher unbekannt, in seiner Heimat Japan jedoch ein erfolgreicher Autor mit zahlreichen Auszeichnungen. Nach einem Elektrotechnik-Studium arbeitete als Ingenieur und schrieb in seiner Freizeit Kriminalromane, die jedoch anfangs nicht sonderlich erfolgreich waren. Erste Erfolge erlangte er 1985 mit seinem Roman Hōkago (放課後 dt. „nach der Schule„), für den er den Edogawa-Rampo-Preis erhielt. Seinen Durchbruch kam im Jahre 1998 mit dem Roman Himitsu (秘密, dt. „Geheimnis“), der auch verfilmt wurde. Die Verdächtige Geliebte erschien in Japan bereits 2006 (Yōgisha X no Kenshin, 容疑者Xの献身, wörtlich: „Die Aufopferung der Tatverdächtigen X“) und wurde 2012 für den „Edgar Allan Poe Award“ nominiert.
Der europäische Leser fühlt sich erstaunlich schnell in einer ihm eigentlich fremden Kultur heimisch, was sicherlich auch der guten Übersetzung von Ursula Gräfe zu verdanken ist. Dies und der Umstand, dass es nichts gibt, was ich an diesem Werk bemängeln könnte, macht ihn zu einer der besten Kriminalromane, die ich jemals gelesen habe. Eine herausragende Geschichte, die nicht nur sprachlich schön geschrieben ist, sondern auch durch den Handlungsort Japan und der damit verbundenen, kulturellen Fremdartigkeit seinen ganz eigenen Reiz hat und sehr authentisch wirkt. Raffiniert, clever und unglaublich präzise beschreibt Keigo Higashino eine intellektuelle Konfrontation zweier Wissenschaftler, deren brillanten Köpfe sich in Täuschung und Investigation messen. Und obwohl alle Fakten für uns Leser offen auf dem Tisch liegen, sorgen Ishigamis perfekt inszenierte Darbietungen von Alibi-Beweisen und die Ermittlungen des Physikers Yukawa für durchgehende Spannung. Wobei uns sogar das Motiv für Ishigamis Handeln von Anfang an offenbart wird: seine heimliche Zuneigung zu Yasuko. Aber dennoch wird unsere Neugier mit Hochspannung bis zur letzten Seite an das Buch gekettet. Gewinnt Ishigami am Ende Yasukos Liebe? Wer ist am Ende der bessere Stratege? Wird der Mord überhaupt aufgeklärt? Erstaunlicherweise fand ich keinen persönlichen Bösewicht (außer der Leiche), sondern sympathisierte gleichermaßen mit allen Beteiligten und war daher um so mehr von einem Ende überrascht, welches … nein, ich darf es nicht verraten, bitte unbedingt Lesen!
Keigo Higashino
Verdächtige Geliebte
Taschenbuch, 320 Seiten
Verlag: Piper Verlag, 1. Auflage August 2014
ISBN: 9783492303552
Am Rande eine Info für Mathematiker und Informatiker: Die Kernfrage der Protagonisten Ishigami und Yukawa ist das sogenannte P-NP-Problem: „Ist es einfacher, die Lösung einer Frage selbst zu erbringen, oder zu prüfen, ob die Lösung eines anderen richtig ist?“. Diese Frage wurde vom Clay Mathematics Institute in die Liste der Millennium-Probleme aufgenommen.