Kasper und seine Freundin hatten eigentlich den Plan gefasst, sich nie mehr wiederzusehen. Aber weil einsame Menschen dieser Tage Gefahr laufen, von der galoppierenden anämischen Depression dahingerafft zu werden, sehen sie sich, gegen alle Vorsätze, einfach doch wieder. Gemeinsam bewohnen sie das Haus von Kaspers kürzlich verstorbenem Großvater, wo sie Besuch von einem violetten Herrn erhalten, der, ebenfalls voll Sehnsucht nach ein wenig Gesellschaft, seine undurchschaubaren Dienste anbietet.
Kaspers Freundin ist eine wunderbar gelungene Komposition aus inhaltlicher und sprachlicher Raffinesse. Oberflächlich (aber wirklich sehr oberflächlich) betrachtet ist die Erzählung eine Art Vampirgeschichte – eine Schauernovelle, deren diffus gruselige Stimmung jedoch nicht durch eine vielleicht neuartige Anordnung altbekannter Figuren und Schemata erzeugt wird, sondern durch das Verhalten der Protagonisten, die mit einer regelrechten Nonchalance durch die sonderbaren Ereignisse stolpern. Dieser Eindruck wird durch Boeges Eigenart verstärkt, bei der wörtlichen Rede auf die Anführungszeichen zu verzichten, was manche Leser bereits von Cormac McCarthy kennen. Aber dies stört keineswegs, die gesprochenen Passagen lesen sich problemlos und für den Leser schlüssig. Interessanterweise verstärkt dieses Stilmittel aber das Gefühl, nicht den Worten einer Erzählung zu folgen, sondern deren impressionistisches Abbild zwischen den Zeilen zu betrachten. So wird die Handlung auch teilweise durch fast stakkatohafte, manchmal fast schon umgangssprachliche Gedankenfragmente kommentiert, die gezielten Pinseltupfern gleich die Stimmung beleuchten. Passend für dieses Stimmungsbild ist auch die Tatsache, dass wir fast nur von dem Protagonisten Kasper den Namen erfahren, alle weiteren Figuren werden größtenteils über ihre Beziehung zu Kasper oder ihre äußere Gestalt definiert, also sogenannte Typenbezeichnungen: Kaspers Freundin, der Notar, der violette Herr, der Bäcker etc. Dadurch erfolgt auch die Fokussierung auf die Figur Kasper.
Luise Boeges Schreibstil und ihre Erzählung haben mir außerordentlich gut gefallen. Es ist eine neuartige und sehr literarische Annäherung an das ansonsten ziemlich abgegriffene Genre von Vampirgeschichten. Ein Vampir taucht eigentlich auch gar nicht so offensichtlich auf, es ist mehr eine Ahnung, ein Gefühl, als ob der violette Herr ein solch garstiges Biest sein könnte. Und so verfolgt der Leser jeden seiner Schritte, achtet auf jedes noch so kleine Detail, sucht zwischen den Zeilen nach Hinweisen und im Gegensatz zu Kaspar und seiner Freundin, die viel zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt sind, als dass sie sich der Gefahr bewusst werden könnten, warten wir auf den Moment, da der verhängnisvolle Biss erfolgt. Und so passt es dann auch in das durchaus fast schon burleske Gesamtbild, dass dieser Vorgang für uns Leser zu einer gegenständlichen Nebensache wird und in ganz untypischer Vampir-Art mit den Worten „… und so weiter.“ ausgeführt wird. So blieb ich dann auch an vielen Textstellen hängen, weil mich einfach Luise Boeges Umgang mit der Sprache begeistert hat, das Zusammentreffen von Ironie, Sarkasmus, von Spitzfindigkeiten, scheinbar unwichtigen Einzelheiten und von wahrhaft entzückenden Sätzen wie „Später gewöhnte er sich das Sprechen ab, sagte aber niemandem etwas davon.“.
Wer Spaß an Sprache hat, sich an morbider Ironie erfreuen kann und mal was wirklich anderes, gänzlich unerwartet Neues lesen will, dem sei dieses Buch wärmstens an’s Herz gelegt.
Über Luise Boege ist im Netz recht wenig zu finden. Ihre Vita beschränkt sich auf wenige Informationen: geboren 1985 in Würzburg, Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig sowie Literaturwissenschaft an der Universität Erfurt. Sie belegte den ersten Platz beim Wettbewerb des Leipziger Hörspielsommers und veröffentlicht in Zeitschriften und Anthologien. Preisträgerin beim 14. open mike 2006. Ansonsten ist es recht still um eine Autorin, deren bisherige Veröffentlichungen ein unglaubliches, literarisches Potential versprechen. Ein schönes Statement veröffentlichte sie in ihrem Essay Die alte Metapherfalle, das vielleicht ein wenig ihre Denkweise über die Verwendung der Sprache beleuchtet:
Sprache ist überall, außer da, wo Sprachlosigkeit ist und was dort ist, weiß man ja nicht.
Abgesehen von dem Glückstreffer Luise Boege bin ich auch auf ihren Verlag Reinecke & Voß aufmerksam geworden, der ein höchst interessantes Portfolio an neuen Autoren bietet. Ein Blick lohnt sich!
Luise Boege
Kaspers Freundin
Taschenbuch, 322 Seiten
Verlag: Reinecke & Voß; Auflage: 1 (12. März 2015)
ISBN: 978-3942901130