Tex Rubinowitz: Irma

Tex Rubinowitz: Irma

30 Jahre nach seiner kurzen Liaison mit der Litauerin Irma erhält Tex Rubinowitz von der Frau eine Freundschaftsanfrage per Facebook. Tex beginnt sich darauf hin an seine eigene rastlose Zeit zu erinnern, beginnend beim Schulabbruch bis hin zum folgenden, ziellosen Umherwandern zwischen Wohnorten, Ländern und Beziehungen. Die früheren Stationen seines Lebens sind dabei geprägt von Unsicherheiten, erotischen Suchbewegungen, versuchter Selbstfindung, verstörender Episoden und einer fatalistischen Grundeinstellung. Mit einer ganz eigentümlich ironischen Distanzierung blickt er zurück auf seine wilden Jahre und versucht, Erlebtes im Gesamtkunstwerk des Lebens einzuordnen.

Tex Rubinowitz präsentiert uns seine Lebensgeschichte als eine Art wilde Kamerafahrt durch die Stromschnellen des Daseins. Wild und sprunghaft werden wir dabei von Welle zu Welle getragen und haben dabei Mühe, uns im Boot zu halten, während um uns herum die Gischt für gelegentliche Abkühlung sorgt. Will sagen: Rubinowitz erzählt sehr schnell und bietet uns nur kurze, oberflächliche Einblicke in einzelne Stationen seines Lebens, die sich vordergründig zunächst humorvoll (im Sinne von ironisch/sarkastisch) präsentieren, bei näherem Blick aber eine kalte Wirklichkeit aufdecken, die von sozialer Unsicherheit, Beziehungsunfähigkeit und Oberflächlichkeit geprägt ist. (S)Eine Reifezeit zwischen Heranwachsen und Erwachsensein scheint eine einzige Suche nach dem perfekten Ort, der perfekten Frau und dem perfekten Leben zu sein, das in den Augen der Unerfahrenheit zu einem idealisierten Bild der Bohème wird, ohne jedoch zu einem Zustand künstlerischer Zufriedenheit zu führen. Dies führt zu einer tief verwurzelten Rastlosigkeit, die sich auch auf zwischenmenschliche Beziehungen niederschlägt.

Tex Rubinowitz, seit 2014 Bachmann-Preisträger, hat von vielen Lesern für Irma nicht viel Lob erhalten. Zu platt, zu oberflächlich, zu verzettelt – nur einige der Adjektive, mit der der Roman bedacht wurde. Ich dagegen empfand genau diesen Stil als frisch und nahezu zeitgemäß und hatte beim Lesen das Gefühl, im Schnelldurchlauf die Timeline des Schriftstellers in Facebook herunter zu scrollen. Wobei ich glaube, dass diese nahezu rote-Faden-lose Art des Schreibens die Unstetigkeit und Ziellosigkeit des Protagonisten in dieser Fast-Biografie hervorhebt und uns gewissermaßen einen Spiegel vor die Augen hält, der uns unsere eigene Oberflächlichkeit in Zeiten von Social Media verdeutlicht. Wir glauben, dass Freundschaftsanfragen tatsächlich ernst gemeint sind und bedenken die vermeintlich Liebsten mit einem Like, während wir sie schon wieder beim Besuch der nächsten Seite vergessen haben. So ähnlich ist Rubinowitz‘ Lebensgeschichte, allerdings zu einer Zeit der 80er Jahre, in der es weder Smartphones noch Internet gab, aber nichts desto trotz die unbeständige Suche nach dem Liebes- und Lebensglück eben auch schon in nicht geringerem Maße statt fand.

Für Leser, die wie ich in den 80er Jahren die ersten Gehversuche außerhalb der Aufsicht der Eltern unternahmen, die ersten Konzerte besuchten, sich die ersten Nächte in Discos herum trieben und auch die ersten sexuellen Erfahrungen sammelten, kann diese Erzählung zu einem Aufwärmen alter Erinnerungen führen. Mit diesem Gedanken und der Hilfe vieler uns damals bekannter Namen (z.B. Nena) besinnen wir uns unserer eigenen jungen, rastlosen Jahre und verflossener, vermeintlich fürs Leben bestimmter Liebschaften und begreifen Tex Rubinowitz‘ Erzählung Irma nicht mehr nur als dessen eigene biografische Aufarbeitung, sondern auch als Anstoß, uns an unsere eigenen Episoden und Jugendsünden zu erinnern. Und wie bei Irma auch kommen diese dann nicht unbedingt chronologisch, sondern wir hüpfen gedanklich von einem zum anderen Abschnitt.

Ich habe Irma gerne gelesen, fand es erfrischend und großartig, humorvoll und dennoch gelegentlich düster. Ich kann es jedem empfehlen, der in den 80ern erwachsen wurde und sich ein „Walking down the memory lane“ in die Zeiten wünscht, in denen man sich schon fast verheiratet wähnte, wenn man es schaffte, mit seiner Freundin ein zweites Mal Weihnachten zu feiern.

Tex Rubinowitz
Irma

Gebundene Ausgabe, 240 Seiten
Verlag: Rowohlt; Auflage: 2 (6. März 2015)
ISBN: 978-3498057992