Zehn Fragen an Nikolina Serdar-Kissel

Zehn Fragen an Nikolina Serdar-Kissel

Nikolina, wie kamen Sie zum Lesen und welches Buch hat in Ihnen die Leseleidenschaft geweckt?
Daran kann ich mich gar nicht mehr wirklich erinnern. Seit ich denken kann, ist das Haus voller Bücher und ein Leben ohne Geschichten kenne ich gar nicht, sie waren einfach immer da.

Haben Sie ein Lieblingbuch/SchriftstellerIn oder würden Sie wie ich an der Inselfrage (“nur EIN Buch pro Person …”) zu Grunde gehen?
Dürfte ich nur ein Buch mit auf eine Insel nehmen, wäre das wahrscheinlich „Bootsbau für Anfänger“. Lieblingsschriftsteller variiert eigentlich, es gibt zu viele gute, um sich auf einen festzulegen. All-time-favorites sind aber Cormac McCarthy, James Joyce und Oscar Wilde.

… und welche Literatur kann Sie noch begeistern?
Die Liste ist sehr lang und ziemlich gemischt. Um eine kleine Auswahl zu geben: Neil Gaiman, Catherynne Valente, Margaret Atwood, Douglas Adams, Sasa Stanisic, Charles Bukowski, Wolfram von Eschenbach, Marcel Proust, Javier Marias, Wilhelm Genazino, Ernst Toller, Gottfried Benn und Alfred Döblin (der Expressionismus ist allgemein meine favorisierte Kunst-/Literaturrichtung).

Sie haben einen germanistisch-anglizistischen Bildungshintergrund. Glauben Sie, dass Marcel Reich-Ranicki recht hatte und es tatsächlich “keine gute deutsche Lidderadur des zwanzigsden Jahrhunderdsden” gibt?
Hier muss angemerkt werden, dass die deutsche Literatur des 20. Jahrhundert deutlich vielfältiger geworden ist und man gar nicht mehr von „einer deutschen Literatur“ sprechen kann. Vielleicht lässt sich aus der Retrospektive eine Bezeichnung dafür finden, aber aus momentaner Sicht hat Deutschland keine spezifische eigene Literatur, insofern hat er schon recht. Es gibt durchaus gute Schriftsteller, aber wir sind noch dabei, umzudefinieren, was genau denn „deutsche“ Literatur ist und an was man sie festmacht. Im Übrigen hat sich im 20. Jahrhundert eine sehr spannende Literatur „mit Migrationshintergrund“ entwickelt, die eine Beleuchtung der Kultur und Gesellschaft sowohl von außen als auch von innen ermöglicht und wirklich lesenswert ist. In Deutschland zählen dazu der oben bereits erwähnte Sasa Stanisic, sowie Marica Bodrozic, Emine Sevgi Özdamar und Yoko Tawada, um nur ein paar zu nennen. Allerdings sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass man keinen der genannten Autoren auf den Migrationsaspekt begrenzen sollte, sie alle haben thematisch viel mehr zu bieten. Dies ist natürlich kein rein deutsches Phänomen, durch die verstärkte Wanderung zwischen den Ländern wird Literatur auf eine gewisse Weise auch globaler.

Ich hatte schon die große Freude, mit meinem Vorbild Roger Willemsen gelegentlich ein paar persönliche Worte wechseln zu können. Mit welchem/r SchriftstellerIn würden Sie gerne privat kommunizieren?
Obwohl er deutlich älter ist als ich, würde ich gerne einmal ein Gespräch mit Cormac McCarthy führen, der für mich der Großmeister amerikanischer Literatur ist. Bei jedem seiner Bücher begeistert sein poetischer Stil mich aufs Neue und ich denke, er hat viel vom Leben und dem menschlichen Wesen verstanden. Bei einem Gespräch könnte man vielleicht noch mehr von ihm lernen als von seinen Büchern.

Ich freue mich darauf, dass Sie mit Ihren Beiträgen meinen Blog bereichern. Glauben Sie, dass das Schreiben von Rezensionen das Lesen fördert? Oder wird Ihrer Meinung nach nur die ohnehin bereits vorhandene Leserschaft angesprochen?
Das ist eine schwierige Frage. Einerseits kann man durch Rezensionen ein wenig Licht in den endlosen Dschungel der Literatur bringen, indem man eingrenzt, welches Buch für welchen Geschmack geeignet wäre. Andererseits frage ich mich, ob Menschen, die an Literatur generell nicht interessiert sind, überhaupt Rezensionen lesen. Auf jeden Fall aber kann man Lesern nicht ganz so bekannte und beworbene Bücher auf diese Weise näher bringen.

Wie ich herausgefunden habe, sind Sie ein Trekkie, obwohl Sie in der Literatur eher Dystopien bevorzugen. Warum ist die Star Trek-Serie so reizvoll für Sie?
Dazu könnte ich jetzt einen zweiseitigen Essay schreiben, aber ich versuche, mich kurz zu fassen. Betrachtet man die Tatsache, dass Star Trek zu Zeiten des kalten Krieges und der Rassentrennung eine Mannschaft darstellte, in der Herkunft und Hautfarbe keine Rolle spielte, kann man sagen, dass die Serie für das Zusammenleben der Menschheit visionär war. Was viele auch nicht wissen: ursprünglich war es gedacht, einen weiblichen Captain die Führung der Enterprise zu geben, das haben die Produzenten jedoch unterbunden und so kam Captain Kirk an die Stelle. Zum anderen hat die Serie viele technische Erfindungen wie in Datenbanken gespeicherte Enzyklopädien und auch Tablets inspiriert. Viele Ingenieure sind bekennende Fans der Serie und auch was die Raumfahrt betrifft, gibt es viele Astronauten und NASA-Mitarbeiter, die gesagt haben, dass Star Trek sie dazu inspiriert hat. So gab es letztes Jahr auf Twitter eine interessante Konversation zwischen William Shatner (dem ursprünglichen Darsteller von Captain Kirk) und einem Astronauten, der gerade im Weltraum war und der Astronaut nannte ihn immer „Captain“. Mal ungeachtet des Unterhaltungsfaktors ist die Serie für mich ein Beweis dafür, dass Kunst auch einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft haben kann.

Wie viele Bücher haben Sie schon gelesen? Kaufen Sie denn auch schon mal Ausgaben, weil diese besonders schön oder originell sind?
Bei dieser Frage muss ich schätzen. Bei der letzten Zählung hatte ich grob gerechnet 500 Bücher zu Hause, ich schätze mal, dass 30-40 davon noch nicht gelesen sind. Die Kinder- und Jugendbücher habe ich allerdings bei meinen Eltern gelassen und vieles habe ich auch leihweise gelesen, also würde ich sagen, dass etwa 500 eine einigermaßen realistische Schätzung ist.
Schöne oder originelle Ausgaben kaufe ich eigentlich nur von Büchern, die ich gerne mag. Mein Lieblingsstück ist eine Ausgabe von Joyces „Ulysses“ aus dem Sandycove Tower in Dublin, der Schauplatz des ersten Kapitels des Buches ist und wo Joyce auch eine Zeit lang gewohnt hat. Mittlerweile befindet sich darin das Joyce Museum, wo seine Handschriften ausgestellt sind und wo man sehr schöne Ausgaben seiner Bücher erwerben kann. Zudem habe ich von Tolstoi und Shakespeare und Oscar Wilde noch einige schöne Hardcover-Ausgaben, aber das war’s eigentlich schon.

Sie lesen fast alle Bücher in der englischsprachlichen Originalausgabe. Geht bei der Übersetzung so viel verloren?
Es kommt auf das Buch an. Reine Unterhaltungsliteratur wie beispielsweise Krimis lese ich auch mal in der Übersetzung, vor allem, wenn das Original schwieriger zu bekommen ist. Bei einem Autor, bei dem der Stil eine große Rolle spielt, geht schon einiges verloren, zumal Metaphorik und Symbolik sehr an die Sprache und Kultur des Schriftstellers gebunden sind. Eine deutsche Übersetzung von James Joyce ist zwar vorhanden, hat aber allein aufgrund der Tatsache, dass Joyce sein ganz eigenes Englisch entwickelt hat, mit dem Original nur noch rudimentär etwas zu tun. Cormac McCarthy wiederum arbeitet dermaßen virtuos mit sprachlichen Bildern, dass man das in der Form mehr schlecht als recht übersetzen kann. Ich habe zum Vergleich einmal die deutsche Übersetzung von „Blood Meridian“- „Die Abendröte im Westen“-gelesen und auch wenn sie nicht schlecht ist, musste ich feststellen, dass man ganz andere Bilder im Kopf hat als beim Original. Übersetzung ist immer auch ein Stück weit Interpretation und bei einem Autor, der so viel Raum für Interpretation lässt, finde ich Übersetzungen immer etwas schwierig. Ich will jetzt aber auch nicht Übersetzungen per se verdammen, sie sind in vielerlei Hinsicht ein hilfreiches Mittel, zumal man nicht alle Sprachen lesen kann, aber wo immer ich kann, bleibe ich beim Original.

Nikolina, möchten Sie unseren Lesern noch etwas mit auf den Lese-Weg geben?
Nun, an erster Stelle soll das Lesen natürlich Spaß machen, aber ich möchte auch dafür plädieren, sich öfter mal in unbekanntes Terrain zu begeben und Bücher/Genres auszuprobieren, die vielleicht nicht bevorzugter Lesestoff sind. Manchmal wird man positiv überrascht und entdeckt, dass man ganz unerwartete Sachen toll findet. Sogar ich habe zwei oder drei Liebesromane, die mir gefallen haben, obwohl ich mit solchen Geschichten eigentlich nichts anfangen kann.