Nach dem durch Kriege und Umweltverschmutzung die Erde nahezu unbewohnbar wird, sucht die Menschheit Möglichkeiten, durch die Zivilisation anderer Planeten neue Inseln des Überlebens zu schaffen. Zu diesem Zweck entsteht auf der Venus ein besiedelter Außenposten, der von Luft-, Wasser- und Nahrungslieferungen der Erde unabhängig werden will. Nach ersten technischen Erfolgen ist der Außenposten in der Lage, das Leben von hundert weiteren Bewohnern zu sichern, worauf hin die erste Generation von auf der Venus geborenen Nachkommen heran wächst. Arik ist einer von ihnen und dank seinem Ehrgeiz und seinen hervorragenden, geistigen Fähigkeiten wird er mit der eigentlich unlösbaren Aufgabe betraut, den für die Sauerstoffproduktion nötigen Fotosynthesezyklus künstlich nachzuahmen. Doch während seiner Forschung kommt es zu einem Unfall, bei dem Arik schwer verletzt wird. Nachdem er aus dem Koma erwacht, versucht er, seine Forschung wieder aufzunehmen und stößt dabei auf Ungereimtheiten und eine ominöse verschlüsselte Nachricht, die er sich offensichtlich vor seinem Unfall selbst gesendet hat. Arik begibt sich auf die Suche nach Wahrheiten und versucht das Geheimnis der Venus-Station zu ergründen.
Wer Ende der 80er Biologie-Leistungskurs hatte, zuckt bei dem Begriff Fotosynthese unweigerlich zusammen und muss sofort an den Zitronensäurezyklus denken, dessen Verständnis (und die entsprechende Bedeutung für die Durchschnittsnote im Bio-LK) durchaus mit Qualen verbunden war. Doch auch wenn Der zweite Planet vornehmlich ein wissenschaftlicher SF zu sein scheint, können wir getrost die alten Biobücher im Schrank lassen, denn technische und biologische Details werden nur relativ oberflächlich angekratzt und leicht verständlich aufbereitet, so dass man das Buch auch ohne Nachschlagewerke und Sekundärliteratur bequem während dem Pendeln im Zug lesen kann. Doch gerade hier verbirgt sich dann auch das Manko von Der zweite Planet: zu Anfang vermutet man vielleicht noch einen SF mit einer ähnlich wissenschaftlichen Dichte wie bei Der Marsianer von Andy Weir, doch mangels wissenschaftlichem Tiefgang und einem unzureichenden Plot kann sich eine Spannung nur in begrenztem Maße aufbauen. Unzureichend deshalb, weil das Potential der wirklich interessanten Ereignisse nicht ausgeschöpft wurde, sondern die durch den Handlungsverlauf aufgebaute Spannung fast schon etwas im Sande verläuft. Hinzu kommen etwas farblose Charaktere, von denen uns lediglich der Protagonist Arik ein bisschen mehr Einblick in seine Persönlichkeit gewährt, während seine Begleiter eher einen Eindruck von unmotivierten Nebendarstellern vermitteln. Außerdem bleiben viele im Handlungsverlauf auftauchende Fragen unbeantwortet und man hat das Gefühl, dass Christian Cantrell eine Fortsetzung des Romans schon im Kopf hat. Das Buch ist zwar durch seine interessante Geschichte (und einer überraschenden Auflösung) für echte SF-Fans lesenswert, bleibt aber dennoch durch seine kleinen Unzulänglichkeiten weit unter seinen Möglichkeiten zurück und verbleibt dadurch trotz seines immensen Potentials in einer Masse von Allerwelts-SF ohne herausragende Eigenschaften. Vielleicht werden wir ja noch von Cantrell mit einer guten Fortsetzung überrascht, denn gerade bei SF-Autoren sind ja Trilogien sehr beliebt und Der zweite Planet schreit förmlich danach.
Das mag sich nun erst einmal recht negativ anhören, allerdings halte ich dennoch Der zweite Planet für einen soliden und kurzweiligen SF, der in einigen Bereichen gut recherchiert ist und größtenteils ein guter Ersatz für ein schlechtes Fernsehprogramm ist, denn Langeweile kommt keineswegs auf. Christian Cantrell ist Software-Entwickler bei Adobe und hat diesen Roman in seiner Freizeit geschrieben (wie mehrere andere auch, die in DE noch nicht erschienen sind), was durchaus eine bemerkenswerte Leistung ist und entsprechend gewürdigt werden darf. Mit entsprechend mehr Freizeit und der Möglichkeit tieferer Recherchen könnte er sicherlich sehr gute Wissenschafts-SF schreiben und vielleicht müssen wir nur noch ein bisschen warten, bis aus den anfänglich ungeschliffenen Steinen wirklich Edelsteine werden. Im Moment würde ich ihn so in Richtung „früher Alan Dean Foster“ stecken. Der zweite Planet ist zumindest ein vielversprechender Anfang, der für eine angenehm leichte Urlaubs- oder Sonntagslektüre (oder beim Pendeln) allemal tauglich und ganz nett zu lesen ist. Mir hat es zumindest Spaß gemacht und unter dem Aspekt „gute Unterhaltung“ kann ich Der zweite Planet auch empfehlen.
Christian Cantrell führt übrigens auch den kleinen Technologie-Blog livingdigitally.net, der vielleicht gerade für Technik-Geeks interessant sein dürfte.
Christian Cantrell
Der zweite Planet
Broschiert, 352 Seiten
Verlag: Heyne Verlag (8. Dezember 2014)
ISBN: 978-3453316072