Linda Conrads, eine erfolgreiche, 38-jährige Romanautorin, lebt mit ihrem Hund in einer Villa am Starnberger See. Ihre Fans und die Presse dichten der öffentlichkeitsscheuen Schriftstellerin eine rätselhafte Krankheit an, jedoch plagt Linda Conrads ein ganz anderes Leiden: vor vielen Jahren fand sie ihre Schwester Anna, erstochen und in einer Blutlache liegend, sterbend in deren eigenen Wohnung vor und überraschte dabei den Mörder auf der Flucht. Das Gesicht des nie gefassten Täters verfolgt sie bis heute und das noch immer anhaltende Trauma zwingt sie dazu, sich und ihr ganzes Leben in die eigenen vier Wände einzusperren – seit nahezu elf Jahren unfähig, diese zu verlassen. So ist es dann ein um so größerer Schock, als Linda eines Abends beim Fernsehen das Gesicht des Mörders in der Gestalt eines Fernsehjournalisten wieder erkennt. Doch anstatt sich noch tiefer in ihre kleine Welt zu verkriechen, sucht sie Wege der Konfrontation, denn ihr größter Wunsch ist es, den Mörder ihrer Schwester zu überführen. Linda beginnt sich einen mutigen Plan zurecht zu legen, der eben jenen Journalisten zu einem ganz speziellen Interview in ihr Haus locken soll. Und ihr Plan beginnt mit einem neuen Buch, in dem sie die Geschehnisse der Mordnacht verarbeitet. Wird sich der Journalist in ihrem Buch wieder erkennen und wird Linda Conrad erfahren, warum ihre Schwester sterben musste?
Selbstverständlich bekommen wir zufriedenstellende Antworten auf diese Fragen, aber ich verrate sie hier natürlich nicht, denn Melanie Raabe versteht es, mit geschickten Händen unsere Vermutungen immer wieder in andere Richtungen zu lenken. Wenn man schon denkt, man wüsste schon sämtliche Antworten, da sich der Roman nahezu offensichtlich und scheinbar klischeehaft in eine bestimmte Richtung bewegt (in dem Sinne, als dass man sich als Leser denkt, das ist ja schon sowas von vorhersehbar und klar), überrascht uns Melanie Raabe mit intelligenten Wendungen im Handlungsablauf, so dass wir am Ende – also kurz vor Ende – uns noch nicht so richtig darüber im Klaren sind, wer jetzt eigentlich Anna umgebracht hat. Bis dahin erleben wir keinen alltäglichen, bluttriefenden Thriller, sondern ein intelligent aufgebautes Spiel aus der psychologischen Trickkiste, das mit unseren Emotionen spielt. Unsere anscheinend sichere Beurteilung gerade gelesener Zeilen (ver)führt uns zu Vorurteilen und macht aus unseren Sympathien ein Fähnchen, das sehr wechselhaft im Wind flattert, je mehr wir über die Persönlichkeiten der Protagonisten erfahren. Melanie Raabe bedient sich hierzu auch dem nicht unbekannten Stilmittels der Binnen-Erzählung (Metafiktion oder auch Metadiegese nach Genette), welches in Form des Romans im Roman auftritt (das neulich erwähnte Bookception). Durch die autobiografische Verarbeitung in Linda Conrads Roman, von dem wir in Die Falle einige Abschnitte zu lesen bekommen, erfahren wir sehr viel mehr über die Persönlichkeit der Protagonistin. Theoretisch hätte Melanie Raabe auf diese Binnen-Erzählung verzichten können – einige Leser empfanden diese unverständlicherweise auch als störend – ich aber finde, dass dadurch die Figur Linda um einiges komplexer wird und an Tiefe gewinnt. Letztendlich ist es dann ja auch genau das, was dem Roman die hohe atmosphärische Dichte verleiht und ihn so lesenswert macht. Keine klischeehaften Figuren und altbekannte Muster, sondern eine durchaus wohlüberlegte, soziale Interaktion von interessanten Charakteren.
Melanie Raabes Debütroman hat mich überzeugt, da er nicht meine inzwischen schon fast negative Grundhaltung gegenüber dem Genre Thriller im Allgemeinen bestätigt, sondern mich mit neuen, attraktiven Ideen und seinem durchdachten Plot sehr positiv überrascht hat. Es hat mir Spaß gemacht, Die Falle zu lesen und ich werde den Roman auch gerne weiter empfehlen. Bei audible ist er inzwischen auch als Hörbuch erschienen und ich denke, dass ich ihn mir auch noch mal vorlesen lasse.
Melanie Raabe, 1981 in Jena geboren, wuchs in einem kleinen Dorf in Thüringen und in einer Kleinstadt in NRW auf (was vermutlich der Lebenssituation der Protagonistin Linda Conrads ziemlich nahe kommt) und studierte Medienwissenschaft und Literatur in Bochum (Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt …). Inzwischen lebt sie in Köln als Journalistin, Drehbuchautorin, Performerin und Theaterschauspielerin. Besonders gut gefällt mir ihr Interview-Blog, www.biographilia.com, auch wenn auch hier – wie bei ihren Lesungen – der Süden gefühlsmäßig unterrepräsentiert ist. Aber vielleicht können wir ja mit vereinten Kräften Frau Raabe mal hier herunter locken.
Melanie Raabe
Die Falle
Gebundene Ausgabe, 352 Seiten
Verlag: btb Verlag
ISBN: 978-3442754915
Hörbuch, 10 Std. 23 Min
Gesprochen von: Devid Striesow, Birgit Minichmayr
Version: ungekürzt, Deutsch
Verlag: Der Hörverlag