Nick Harkaway: Der goldene Schwarm

Nick Harkaway: Der goldene Schwarm

Joe Spork, der Sohn der Londoner Gangsterlegende Mathew „Tommy Gun“ Spork, hat das kriminelle Erbe seines Vaters ausgeschlagen und lebt ganz im Sinne des Gesetzes als sehr talentierter Uhrmacher in London. Edie Banister, eine neunzigjährige Spezialagentin im Ruhestand, führt ebenfalls ein ruhiges Leben, sehnt sich aber nach den alten, wilden Zeiten zurück, in denen sie noch jung, verführerisch und gefährlich war. Eigentlich würden sich die beiden nie begegnen, hätte Joe nicht aus Unwissenheit eine geheimnisvolle Weltuntergangsmaschine in Gang gebracht, die praktisch sein Leben ruiniert und allerlei äußerst seltsame Gestalten auf den Plan ruft: unheilige Kampfmönche, dubiose Regierungsvertreter, durchtriebene Anwälte und einen pupsenden Hund mit Glasaugen. Als sich die Wege von Joe und Edie kreuzen, müssen sie sich für den Kampf gegen die diabolischen Pläne des Diktators Shem Shem Tsien verbünden, sich ihrer Vergangenheit stellen und sich auf alte, längst vergessene Freunde besinnen.

Vorab: Das Buch ist grandios! Spannend! Witzig! Phantasievoll und ziemlich „strange“ …

… aber man weiß nicht, in welche Rubrik man es stecken soll, denn es steckt von allem etwas drin: eine klassische Gangstergeschichte (freundliche und ehrenhafte Gangster), ein Abenteuerroman der Jahrhundertwende (also der vorletzten), mehrere Liebesgeschichten, ein bisschen Steampunk, ein bisschen Horror, etwas Science Fiction, Spionage und Verschwörungstheorien und jede Menge britischer Humor. Alles ist in untrennbarer Weise miteinander verwoben – komplex, aber nicht so, als dass es irgendwann einmal unglaubwürdig werden würde. Harkaway knüpft dabei die vielen Fäden zu einem Teppich mit liebevollen Details, dessen Muster man erst durch seine zahlreichen Retrospektiven zu erkennen scheint, und so ist es auch ein guter Rat an den Leser, die Geschichte von Anfang an aufmerksam zu verfolgen und keine Zeile auszulassen, denn anscheinend hat jede anfangs scheinbar noch so unwichtige Person am Ende eine wichtige Aufgabe zu meistern. Die Protagonisten sind tiefgründig und gelegentlich auch leicht überzeichnet, was aber dem sprachlich ausgefeilten „Empire-Stil“ sehr entgegen kommt: schöne Wortwechsel mit der typisch britischen Freundlichkeit, die selbst unter widrigsten Umständen noch eine gewisse Überlegenheit vermittelt. Hinzu kommt eine kräftige Portion britischer Humor, der absurde Situationen noch skurriler macht.

Würde mich jemand fragen, ob ich schon mal etwas ähnliches gelesen habe, könnte ich nicht wirklich eine Antwort geben, denn der Crossover aus verschiedenen Genre ist so einzigartig, dass es dem Leser sogar anfangs schwer fällt, diese unterschiedlichen Elemente mit der im Roman erzählenden Zeit, der Gegenwart, in Übereinstimmung zu bringen. Der Anachronismus zwischen der Handlung in der Gegenwart und der aus einer scheinbar ganz anderen Zeit kommenden Charaktere mit ihrem nahezu antiquierten Werteverständnis ist allgegenwärtig und erschließt sich dann auch erst durch die bereits erwähnten Retrospektiven. Gerade diese Rückblenden unterbrechen zwar den Handlungsverlauf, lösen aber natürlich viele Geheimnisse auf und vertiefen wiederum das Bild der Protagonisten und ihrer Beziehungen zueinander. So kommt es, dass die Unterbrechungen keinesfalls stören, sondern mehr als aufklärende (und spannende) Einschübe wahrgenommen werden.

Ich selbst bin von Der goldene Schwarm begeistert und kann das Buch all jenen empfehlen, die gerne mal „etwas ganz anderes als sonst“ lesen wollen.

Sieh an, sieh an, da wurde wohl ein literarisches Händchen vererbt, denn ein Blick in Wikipedia verrät uns, das Nick Harkaway eigentlich Nicholas Cornwell heißt und der vierte Sohn von John Le Carré ist. Harkaway studierte Philosophie, Soziologie und Politik am Clare College in Cambridge und veröffentlichte im Jahre 2008 seinen ersten Roman Die gelöschte Welt, für den er ein Vorabhonorar von sage und schreibe 300.000 Englische Pfund erhielt. Immerhin reichte dies für eine Nominierung für den Locus Award in der Kategorie Erstlingsroman (2009) und für einen British Science Fiction Association Award in der Kategorie Roman. Ich habe ihn noch nicht gelesen, werde dies aber mit Sicherheit nachholen.

Nick Harkaway
Der goldenen Schwarm

Broschiert: 608 Seiten
Verlag: Albrecht Knaus Verlag (10. März 2014)
ISBN: 978-3813505344