Jeannette Walls: Die andere Seite des Himmels

Jeannette Walls: Die andere Seite des Himmels

Die zwölfjährige Bean und ihre drei Jahre ältere Schwester Liz können gut auf sich allein aufpassen – und das müssen sie auch, denn ihre Mutter lebt nur für den eigenen Traum einer Musik-Karriere, die vermutlich niemals kommen wird. Im Zuge dessen flieht sie auch vor den Problemen des Alltags und lässt ihre Töchter für ihre ständigen Selbstfindungstripps und Männergeschichten alleine zurück. Bean und Liz haben sich daran gewöhnt, bis eines Tages ihre Mutter unerwartet lange fort bleibt und die Kinder sich zu einer Reise quer durch Amerika entscheiden, die sie zu ihrem Onkel nach Virginia und den Wurzeln ihrer Familie führt. Dort erfahren sie viel über ihre eigene Geschichte und geraten in eine typische Südstaaten-Kleinstadt, deren konservativen Normen die liberalen Schwestern mit Unverständnis begegnen. Mit einer fast kindlichen Unschuld versuchen sie, ihre eigenen Probleme zu lösen und sich nicht um gesellschaftliche Konventionen zu kümmern, was ihnen viele neue Freunde beschert, aber auch alte Familienfeinde auf den Plan ruft.

Die andere Seite des Himmels hat mich begeistert. Nicht nur die sommerliche Leichtigkeit der Erzählung, sondern auch die sympathischen Schwestern, die mit ihrer frühreifen aber entschlossenen Art ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen und dabei viel über das Leben lernen, mit mal mehr und mal weniger dramatischen Folgen. Überhaupt war ich erstaunt über die Vielfalt der gesellschaftlichen Themen, mit denen der Leser fast spielend konfrontiert wird. Angefangen von Nixon, dem Vietnamkrieg, der Beendigung der Rassentrennung bis hin zum falsch verstandenen Selbstverständnis familiärer Ehre oder aufkommendem Feminismus müssen sich Bean und Liz mit vielen Fragen über die Probleme der beginnenden 70er Jahre beschäftigen, wobei Ihre Antworten durchaus gesellschaftskritisch und liberal ausfallen, jedoch ohne die Finger mahnend zu erheben. Dadurch driftet die Erzählung auch nicht in eine pseudopolitische Abrechnung mit dem Kleinbürgertum der Südstaaten ab, sondern bewegt sich immer in einem angenehmen, fast unparteiischen Rahmen, der den Erlebnissen der Schwestern nicht die Bühne streitig macht. Letztendlich bleibt die Wurzel der Erzählung, nämlich das Verhältnis zwischen den immer selbständiger werdenden Kindern und ihrer labilen Mutter, auch immer die Triebfeder für die Entscheidungen und Handlungen der Kinder. Und so entwickelt sich unter diesen Rahmenbedingungen eine liebenswerte und sehr spannende Geschichte, bei der es dem Leser mit fortschreitender Seitenzahl immer schwerer fällt, das Buch aus der Hand zu legen.

Die zauberhaften und mutigen Schwestern Bean und Liz ziehen uns in ihren Bann und machen Die andere Seite des Himmels zu einem Buch, welches man nach dem Lesen der letzten Zeile gerne noch mal von vorne beginnt.

Jeannette Walls ist seit 2007 hauptberuflich als Autorin tätig, davor war sie Journalistin und Moderatorin einer Sendung im Frühstücksfernsehen des MSNBC. Bekannt geworden ist sie durch die Bücher The Glass Castle (Schloss aus Glas, 2006) und Half broke horses (Ein ungezähmtes Leben, 2011). In beiden Werken verarbeitet sie autobiografische Erlebnisse, die sich sicherlich teilweise auch in Die andere Seite des Himmels (The Silver Star, 2013) finden lassen. Walls wurde 1960 geboren und führte bis zum 17. Lebensjahr mit ihren Geschwistern und ihren Eltern ein Leben, das von vielen Umzügen und teilweiser Obdachlosigkeit gezeichnet war. Zuletzt bewohnten Sie eine von Ratten und Schlangen verseuchte Drei-Zimmer-Wohnung ohne sanitäre Anlagen oder Heizung. Mit 17 verließ Walls ihre Eltern und zog zu ihrer Schwester nach New York, wo sie ihren High School-Abschluss machte und danach mit Hilfe vieler Nebenjobs ein erfolgreiches Studium am Barnard College absolvierte. Heute lebt Sie mit ihrem zweiten Mann John J. Taylor (Journalist) und ihrer Mutter auf einer großen Farm außerhalb von Culpeper in Virginia.

Jeannette Walls
Die andere Seite des Himmels

Taschenbuch: 368 Seiten
Verlag: Diana Verlag (9. Februar 2015)
ISBN: 978-3453357969