#fbm15: Gastland Indonesien

#fbm15: Gastland Indonesien

17.000 Islands of Imagination war das Motto des Gastlandes Indonesien auf der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt und der Indonesien-Pavillon im Forum Ebene 1 machte diesem Motto auch alle Ehre. Er war spektakulär schön, geheimnisvoll, bezaubernd und zumindest an den Fachbesuchertagen ein fast schon kontemplativer Ort, der auf vielfältige Weise zum Entdecken einlud. Viel zu entdecken gibt es auch auf der entsprechenden Webseite, die > hier zu finden ist.

Sowie man das Forum betrat, befand man sich in einem Meer aus von der Decke herab hängenden Tuben aus Stoff, die in sanftem, blauem Licht leuchteten und Wellen visualisierten. Einem Entdeckungsreisenden gleich bewegte man sich zwischen den Tuben umher, erblickte hier und da lyrische Zitate auf ihnen und war hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, jede einzelne Welle auf ihren literarischen Inhalt zu erforschen oder einfach nur das zauberhafte Gesamtbild zu erfassen. Bei seinem Blick in die Ferne konnte der Besucher zwischen den blauen Tuben gelegentlich ein Leuchten wahrnehmen, welches sich farblich vom Meer unterschied. Dies waren die sieben Inseln, die es zu entdecken galt, jede begrenzt von einem Kreis leuchtender Tuben, die das jeweilige Thema der Insel gestalterisch aufgriffen.

Die Inseln waren:
– Islands of Images
– Islands of Inquiry
– Islands of Words
– Islands of Illumination
– Islands of Tales
– Islands of Scenes
– Spice Island

Hatte man eine Insel erforscht, machte man sich auf die Suche nach der nächsten, die sich dann inhaltlich als gänzlich andersartig erwies: sichtete man auf der einen Insel literarisch-historische Relikte aus mehrerem Jahrhunderten, fand man dagegen auf der Nachbarinsel moderne Illustrationen und Comic-Kunst. Und immer fand man Boote, denn viele Exponate, vom Buchstand bis zum Gewürzregal, dessen exotisch duftenden Inhalte den Besucher in eine andere Geschmacks-Welt entführten, wurden auf schiffsähnlichen Tischen präsentiert. Das Ziel der Reise war aber letztendlich die Bühne, auf der man eine für uns fremdartige Kunst von der Lyrik bis zur Musik dargeboten bekam, die uns endgültig verzauberte. Ich habe es selten erlebt, dass sich ein Gastland auf der Buchmesse auf eine solch‘ liebevolle und detailverliebte Art und Weise präsentierte und ich kann nur jeden bedauern, der sich dieses Erlebnis hat entgehen lassen.

Ein paar Zahlen zu Indonesien: unter fast 253 Millionen Einwohnern sind 1.340 ethnische Gruppen versammelt, die sich 546 verschiedene Sprachen teilen. Und obwohl über 87 % Indonesier der muslimischen Glaubensgemeinschaft angehören, versteht sich Indonesien nicht als islamischer Staat. Die Wachstumsrate der Einwohner wird mit 1,18 % beziffert, was mit 3,4 bis 4 Millionen Geburten jährlich der Einwohnerzahl von Singapur entspricht. Die Rate der Analphabeten liegt dabei unter 8 % und ist weitaus niedriger als der Weltdurchschnitt (ca. 15 %). Es gibt 1.368 Verlage, nur 1.200 Buchläden (aber dafür 61.447 Bibliotheken) und im Jahr werden etwa knapp 32.000 Bücher veröffentlicht, von denen 2014/15 gerade mal 142 Werke bei uns in deutscher Übersetzung auf dem Markt landeten. Die Zahl der Veröffentlichungen schwankt übrigens beträchtlich. Die Pressemitteilung spricht von 32.000, ein Info-Flyer von 23 Tsd. bzw. 44 Tsd. Veröffentlichungen und ich muss mal eruieren, wie diese Zahlen zustande kommen. Im Jahre 2013 wurden in Indonesien 33.199.557 Bücher ohne Buchpreisbindung verkauft, wobei Fachbücher im Gegensatz zu den westlichen Ländern sehr günstig sind. Rund 2 % des Gesamtumsatzes von ca. 580 Mio. EUR fallen auf E-Books, wobei die Leser gegenüber den E-Book-Readern den Tablets den Vorzug geben. Der Gesamtumsatz hört sich erst mal nicht sehr hoch an, basiert aber auf Buchpreisen zwischen 40 Cent und 6 EUR, wodurch sich die Aussage natürlich relativiert.

Es gab viele interessante Autoren und Werke zu entdecken, von denen ich zumindest eine Autorin hervorheben möchte: Laksmi Pamuntjak verarbeitet in ihrem Buch „Alle Farben Rot“ die Geschichte einer Frau, die ihren Geliebten zur Zeit der grausamen Säuberungswelle während Suhartos diktatorischem Regime verloren hatte, und sich lange nach der Befreiung Indonesiens aus der Diktatur im Jahre 1998 auf die Suche nach ihm begibt und alte Spuren verfolgt. Sicherlich ein sehr interessanter Roman, der vor kurzem im Ullstein Verlag erschienen ist (672 Seiten, Übersetzt von Martina Heinschke, ISBN 978-3550080869). In der ARD-Sendung Titel-Thesen-Temperamente vom 18.10. gab es übrigens einen Ausblick auf einige weitere interessante Autorinnen. Der Beitrag ist sehr sehenswert und zur Zeit in der ARD-Mediathek abrufbar.

Trotz aller Schönheit darf nicht vergessen werden, dass es in Indonesien noch immer zu viele Menschenrechtsverletzungen kommt. Angefangen von der immer häufiger durchgeführten Todesstrafe bis hin zu vielen politisch Inhaftierten muss das stark im Wachstum begriffene Land umdenken und sich auch einer politischen Opposition stellen, um auch international als unbefleckter Handelspartner auftreten zu können. Eine literarische Verarbeitung der Gräueltaten von fast 50 Jahren Diktatur, die gerade mal vor etwa 15 Jahren beendet wurde, findet durchaus in hohem Maße statt, doch muss der kritische Blick auch verstärkt auf die heutige Zeit gerichtet werden. Zwar übt der Großteil der Indonesier eine sehr moderate und tolerante Form des Islams aus, doch gibt es bereits seit Anfang des Jahrtausends auch große Gebiete, in denen die Scharia streng durchgesetzt wird. Hier ist das moderne Indonesien mit der Frage gefordert, in welche Richtung es am Ende gehen möchte. Dies gilt aber auch genauso für den Ausbau der indonesischen Randgebiete, nämlich jene Inseln, deren Infrastruktur im Zuge einer zentralistischen Denkweise stark vernachlässigt wurde, als auch für den Umweltschutz (Stichwort Grasberg-Mine).

Nicht unerwähnt bleiben sollten aber auch die schweren Naturkatastrophen, von denen Indonesien gerade die letzten Jahre heimgesucht wurde. Indonesien liegt in einer der vulkanisch aktivsten Regionen der Erde (der Pazifische Feuerring) und hat mit dem Merapi einen der aktivsten und gefährlichsten Vulkane überhaupt. Die unvollständige Liste der Katastrophen zeigt nur ansatzweise das Maß der Naturgewalten, mit denen Indonesien fertig werden muss:

26.12.2004 – Ein Seebeben im indischen Ozean mit anschließendem Tsunami, das allein in Indonesien über 170.000 Todesopfer forderte.
06.2004 – Starke Aktivität des Vulkans Bromo
06.2004 – Starke Aktivität des Vulkans Awu
27.05.2006 – Ein Erdbeben der Stärke 6,2 in Zentral-Java in der Region Yogyakarta mit nahezu 5.800 Toten und 57.800 Verletzten.
05.2006 – Starke Aktivität des Vulkans Merapi (verursacht durch das Erdbeben kurz zuvor).
29.05.2006 – In der Nähe von Sidoarjo (Java) bildet sich ein Schlammvulkan. 100 °C heißer Schlamm quillt bis heute aus der Erde, tausende Menschen mussten evakuiert werden.
17.06.2006 – Ein Erdbeben vor Java mit anschließendem Tsunami fordert 525 Menschenleben. Betroffen war vor allem die Stadt Pangandaran auf der indonesischen Insel Java, da eine Tsunami-Warnung ausblieb.
19.07.2006 – Ein Erdstoß der Stärke 6,2 vor der indonesischen Küste, bei der diesmal eine Tsunami-Warnung weitergeleitet wurde.
06.03.2007 – Ein Erdbeben der Stärke 6,3 in Westsumatra mit über 70 Toten und mehreren Hundert Verletzten. Das Beben und eines der leichteren Nachbeben waren noch im über 400 km entfernten Singapur zu spüren, so dass dort mehrere Hochhäuser evakuiert wurden.
16.11.2008 – Ein Erdbeben der Stärke 7,7 auf der zentralindonesischen Insel Sulawesi.
04.01.2009 – Ein Erdbeben der Stärke 7,2 in Westneuguinea, das von 18 Nachbeben gefolgt wurde, von denen das stärkste mit 7,6 auf der Richterskala registriert wurde. Es gab wenigstens 4 Tote.
10.2010 – Starke Aktivität des Vulkans Merapi verbunden mit pyroklastischen Strömen.
11.2010 – Starke Aktivität des Vulkans Bromo

Ein interessantes und zauberhaftes Land, ein geologisch aktives Land, eine bewegte Geschichte und eine große Neugier darauf, was da noch kommen wird. Das ist Indonesien, das sich glänzend inszenierte und den Wunsch weckte, mehr zu erfahren. Der erste literarische Durst wurde von einem tollen Buch gestillt, welches – so glaube ich – leider nur an den Fachbesuchertagen ausgegeben wurde: Sprachfeuer | Eine Anthologie moderner indonesischer Lyrik. 223 Gedichte aus acht Jahrzehnten von 28 Lyrikerinnen und Lyrikern.

Ich halte es in den Händen und versinke auf eine Reise zwischen 17.000 Inseln.

Bildquelle:
Frankfurter Buchmesse/Nurettin Çiçek