Der literarische Jahresrückblick 2015

Der literarische Jahresrückblick 2015

Die letzten Wochen wurde es ein wenig still in meinem Blog. Der Dezember ist ein Monat, in dem man sich ja doch in erhöhtem Maße den Lieben im näheren Umkreis widmet und oftmals bleibt dann auch wegen der üblichen Weihnachtsvorbereitungen, diversen Weihnachtsfeiern und Panikeinkäufen nur wenig Zeit zum Schreiben. Manchmal muss man sogar auch ein Buch beiseite legen, obwohl man es sich lieber damit auf dem Sofa gemütlich machen möchte. Dennoch ist und bleibt der Dezember ein Lesemonat, der auch dazu einlädt, sich kurz vor dem Jahreswechsel noch einmal zu besinnen, mit welchen literarischen Sternstunden das vergangene Jahr versüßt wurde.

Eine sehr subjektive Liste literarischer Meilensteine, sicher. Eine eigentlich unzureichende noch dazu, ist man doch leider dazu verdammt, sich aus zeitlichen Gründen einer nur sehr beschränkten Auswahl an Werken widmen zu können. Lesen kann man nun wirklich nicht alles und als voll berufstätiger Blogger hat man selbst einige Mühe, mit den Neuerscheinungen einigermaßen Schritt zu halten. Und doch blickt man am Ende des Jahres auf seine ganz eigene Liste der neuen und alten Glanzstücke – jene Schriften, die einen in höchste Verzückung brachten, sei es in sprachlicher, in inhaltlicher oder optischer Hinsicht, und die man nach dem Lesen in das Regal stellt, mit dem Wissen, wenigstens einmal jährlich ein wenig darin zu blättern, um in den Erinnerungen großartiger, literarischer Momente (subjektiv gesehen) zu schwelgen.

 

Dieses Jahr haben mich die drei folgenden Bücher tief beeindruckt und erhalten von mir das Prädikat „Wertvoll – unbedingt lesen!“:

> Jocelyne Saucier: Ein Leben mehr
Eine Geschichte, die dem Leser so ans Herz geht, dass man am Ende nicht weiß, ob man Lachen oder Weinen soll. Ein unglaublich toller Roman, der schon fast eine eigene Seele zu haben scheint und uns mit viel Gefühl in ein zartes Netz aus Spannung, Zuneigung und Hoffnung einfängt. Mein persönliches Highlight des Jahres.

> Nina Jäckle: Der lange Atem
Es war der elfte März, und das Meer atmete aus, ins Land hinein atmete es aus und dann atmete es tief wieder ein.“ So beginnt die Geschichte eines Überlebenden des Tsunamis von 2011, der sich eineinhalb Jahre später einer schweren Aufgabe widmet, die ihm Trost, aber auch Trauer und Schuld auflädt. Ein poetisch gelungener, emotionaler Nachruf, der mit sehr viel Achtung vor den Toten geschrieben wurde. Ein leises Buch, das ich jedem nur ans Herz legen kann.

> Luise Boege: Kaspers Freundin
Kaspers Freundin ist eine wunderbar gelungene Komposition aus inhaltlicher und sprachlicher Raffinesse. Oberflächlich (aber wirklich sehr oberflächlich) betrachtet ist die Erzählung eine Art Vampirgeschichte. Wer Spaß an Sprache hat, sich an morbider Ironie erfreuen kann und mal was wirklich anderes, gänzlich unerwartet Neues lesen will, dem sei dieses Buch wärmstens an’s Herz gelegt.

 

Des weiteren haben sich 2015 folgende Werke in mein Leseherz geschlichen und gehören zu jenen Büchern, in die man immer wieder gerne hinein liest. Auch bei diesen Büchern kann ich sagen: sehr lesenswert:

> Michael Cunningham: Die Schneekönigin
Was für ein wunderschönes Buch. Wunderbar poetisch mit kreativen Metaphern und Allegorien, die so entzückend sind, dass man sie einfach mehrmals lesen muss. Cunningham hat mit dem Roman Die Schneekönigin einen brillant geschriebenen Lesegenuss geliefert, der das Herz berührt und zum Nachdenken anregt. Dieses Buch muss einfach gelesen werden!

> Jeannette Walls: Die andere Seite des Himmels
Eine sommerlich leichte Erzählung über zwei junge Schwestern, die sich auf eine Reise quer durch die USA begeben, um ihre eigene Familie zu finden. Mit viel Optimismus und Mut trotzen sie dabei sämtlichen Widrigkeiten und verfolgen ihren eigenen Weg, ohne sich nach gesellschaftlichen Konventionen zu richten. Ein zauberhaftes Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen möchte.

> Natalio Grueso: Der Wörterschmuggler
Ein ganz wunderbarer Roman, eine Art Abenteuergeschichten für Erwachsene, mal melancholisch angehaucht, mal mit Spitzer Feder geschrieben und mit einfühlsamen Lokalkolorit – wo immer sich gerade der nicht unsympathische Schuft Bruno Labastide aufhält. Ein perfekter Roman für den sonntäglichen Aufenthalt im heimischen Lesesessel.

> Barbara Kingsolver: Das Flugverhalten der Schmetterlinge
Ein Buch, das viele Botschaften transportiert. Es lässt uns mehrere Möglichkeiten offen, auf welche Art und Weise wir es begreifen möchten: als feines und leises Beziehungsdrama, als gesellschaftskritische Betrachtung oder einfach als eine spannende, naturwissenschaftliche Geschichte. In jedem Fall schafft es Kingsolver mit ihrer schmetterlingsleichten Sprache und der mit Liebe zum Detail beschriebenen Örtlichkeiten, zauberhafte Bilder in den Köpfen der Leser zu zaubern.

> Shelly King: Mr. Lawrence, mein Fahrrad und ich
Dieses humorvolle Buch ist eine Hommage an all die kleinen Buchläden, egal ob antiquarisch oder nicht, die uns mit ihrem ganz eigenen Charme bezaubern und für uns Leseratten ein Art gemütliches Zuhause bieten, in dem wir immer willkommen sind und wo für uns jederzeit leckere, frischgebackene Kekse aus Zellstoff mit Druckerschwärze zum ungezügelten Vernaschen bereit stehen. Wirklich sehr empfehlenswert für einen sonntäglichen lazy afternoon im Lesesessel.

> Keigo Higashino: Verdächtige Geliebte
Ein japanischer Krimi, der so ganz anders als andere Kriminalromane zu sein scheint. Ein fast geistiger Kampf zweier Wissenschaftler, von denen einer einen Mord vertuscht und der andere versucht, ihn dabei zu überführen. An allem ist natürlich die Liebe schuld. Auch sprachlich einfach großartig geschrieben.

> Marie Pellissier: Die tödliche Tugend der Madame Blandel
> Marie Pellissier: Der tödliche Tanz des Monsieur Bernard
Zwei wunderschöne Kriminalromane, in denen die Gardienne Lucie in der Stadt der Liebe (also Paris) ihr Bügeleisen beiseite legt und sich der Aufklärung seltsamer Todesfälle widmet. Dabei deckt Marie Pellissiers Protagonistin alles gewissenhaft auf, was vorher unter den Teppich gekehrt wurde. Heiter, sehr französisch und mit viel Liebe zum Detail.

> Nick Harkaway: Der goldene Schwarm
Das Buch ist grandios! Spannend! Witzig! Phantasievoll und ziemlich „strange“ … aber man weiß nicht, in welche Rubrik man es stecken soll, denn es steckt von allem etwas drin: eine klassische Gangstergeschichte (freundliche und ehrenhafte Gangster), ein Abenteuerroman der Jahrhundertwende (also der vorletzten), mehrere Liebesgeschichten, ein bisschen Steampunk, ein bisschen Horror, etwas Science Fiction, Spionage und Verschwörungstheorien und jede Menge britischer Humor.

> Peter Bunzel: Käpt’n August und der Mond aus Gold
Ein Feuerwerk von Skurrilitäten mit äußerst heiteren Zeitgenossen in einer Welt, in der alles irgendwie anders ist. Für alle, die einfach mal wieder Pirat sein und für kurze Zeit aus der realen Welt komplett entfliehen möchten. Aber Vorsicht: Dieses Märchen ist ungewöhnlich kreativ! Bestens geeignet für aktuelle und ehemalige „Legosteiniger„.

> Olaf Ludmann: Die Rede der Religion
Ein Philosoph aus Frankfurt am Main, der sich in diesem Werk in kurzen Aufsätzen mit den Themen Religion und Individualität befasst. Zwei sehr lesenswerte Abhandlungen, die uns dazu animieren, einmal kurz inne zu halten und in Ruhe und Besinnlichkeit über uns selbst nachzudenken.

> Andreas Eschbach: Quest
Für mich seit seiner Erscheinung im Jahre 2001 immer noch einer der großartigsten, deutschen SF. Eine philosophische, durchdachte, spannende und tiefgründige Suche nach der Unsterblichkeit mit äußerst interessanten Charakteren. Ich glaube, ich habe es zum vierten Mal gelesen.

 

Von allem etwas, sehr persönliche Zutaten für jene, die im nächsten Jahr in einem Buchladen stehen und so gar nicht wissen, was sie kaufen sollen. Ein Blick in das ein oder andere Buch dieser Auswahl lohnt sich allemal.

Es war ein schönes Lesejahr, ein gutes Jahr für meinen Blog, eine tolle Buchmesse in Frankfurt mit vielen interessanten Gesprächen mit Schriftstellern, Verlegern und anderen Bloggern. Und der Erkenntnis, dass sich zwischen den altbekannten Autoren viele neue oder unbekannte Namen tummeln – oft nahezu unbeachtet versunken in einem Selfpublishing-Sumpf – die aber eine viel größere Aufmerksamkeit verdienen (z.B. Peter Bunzel, Patrizia Prudenzi, Luise Boege, Helga Jursch).

In diesem Sinne wünsche ich allen ein literarisch erfolgreiches und schönes neues Jahr und hoffe, dass ansonsten die Welt ein wenig besser wird als in 2015.

Tags: 2015 Literatur