Der nicht unsympathische Schuft Bruno Labastide ist ein Abenteurer und Gauner, der schon viel in seinem Leben erlebt und schon viele um ihr Geld gebracht hat. Mit seinem gewinnenden Lächeln bezirzt er die reichen Damen der Welt und erleichtert sie um ihren unnötigen Tand. Nach Jahren des unsteten Reisens und wilden Treibens beabsichtigt Bruno seinen Lebensabend in Venedig zu verbringen, um in der dortigen Melancholie zur Ruhe zu kommen, doch lernt er dort die zauberhafte und geheimnisvolle Japanerin Keiko kennen, die ihre Liebhaber stets nur für eine Nacht und gegen schöne Verse empfängt. Von ihrer erotisierenden Fremdartigkeit beflügelt, versucht sich Bruno daran, Keiko mit den mehr oder weniger wahren Geschichten seines Lebens zu betören. Diese führen uns mit magisch-zauberhaften Erlebnissen von Genf nach Shanghai, von Argentinien an die russisch-finnische Grenze und am Ende wieder zurück nach Venedig.
Natalio Gruesco, seines Zeichens Regisseur am Teatro Españiol und am Institut für Performing Arts of the City of Madrid, beschert uns mit seinem Debütroman, trotz dass es manchmal schwierig ist, den Sprüngen zwischen den Geschichten zu folgen, eine amüsante und intelligente Lektüre. Es macht Spass, mit Bruno Labastide durch die Welt zu reisen und an seinen Abenteuern teil zu haben und mit zu erleben, wie er die ein oder andere Liebschaft „erleichtert“ zurück lässt. Ein Schuft ist Bruno sicherlich, aber ein liebenswerter. Gruesco schafft es dabei ganz hervorragend, die Stimmungsbilder der unterschiedlichsten Örtlichkeiten und Länder aufzubauen und die Seiten mit dem jeweiligen, kulturell typischen Flair zu füllen, so dass die einzelnen Passagen sehr authentisch wirken. Dabei bewegen wir uns immer zwischen teils heiteren, teils melancholischen Geschichten hin und her, immer mit der Frage im Hinterkopf: Was ist eigentlich mit Keiko? Diese begegnet uns lediglich am Anfang und am Ende der Geschichte und bleibt für uns eine ähnliche geheimnisvolle Lichtgestalt wie für all ihre sprachgewandten Liebhaber.
Dass wir nicht mehr von ihr erfahren, macht das Buch aber – im positiven Sinne – noch ein wenig „exklusiver“, denn oft überrascht uns Gruesco stellenweise mit der Kunst des Weglassens, so dass viel Raum für die eigene Vorstellungskraft bleibt. Dieser, auch Eisbergmodell genannte, erzähltheoretische Ansatz, der auf den Schriftsteller Ernest Hemmingway (1899-1961) zurückgeht, wird von diesem mit folgenden Worten beschrieben:
„Wenn ein Prosaschriftsteller genug davon versteht, worüber er schreibt, so soll er aussparen, was ihm klar ist. Wenn der Schriftsteller nur aufrichtig genug schreibt, wird der Leser das Ausgelassene genauso stark empfinden, als hätte der Autor es zu Papier gebracht. Ein Eisberg bewegt sich darum so anmutig, da sich nur ein Achtel von ihm über Wasser befindet.“
Und so enden die Verführungskünste des Lebemanns Bruno Labastide für uns auch regelmäßig spätestens an der Schlafzimmertür der Auserwählten und fordert unsere eigene Vorstellungskraft und Erfahrung. Dies betrifft natürlich auch seine Gaunereien, die meistens außerhalb unseres Blickfeldes stattfinden.
Ein ganz wunderbarer Roman, eine Art Abenteuergeschichten für Erwachsene, mal melancholisch angehaucht, mal mit Spitzer Feder geschrieben und mit einfühlsamen Lokalkolorit – wo immer Bruno sich gerade aufhält. Ein perfekter Roman für den sonntäglichen Aufenthalt im heimischen Lesesessel.
Natalio Grueso
Der Wörterschmuggler
Gebundene Ausgabe. 256 Seiten
Verlag: Atlantik (Hoffmann & Campe, 15. August 2015)
ISBN: 978-3455600193