Portugal, zu einer nicht näher spezifizierten Zeit. Vier Menschen bemerken seltsame Vorkommnisse, die sie sich nicht erklären können. Kurz darauf bricht die iberische Halbinsel von Europa ab und treibt auf seltsamen Wegen auf den Atlantik hinaus. Wissenschaftler und Politiker versuchen fieberhaft, Erklärungen für dieses seltsame Phänomen zu finden, während die Bevölkerung Portugals und Spaniens zunehmend in Anarchie verfällt und die europäische Jugend sich mit ihr solidarisiert. Von all dem bekommen die vier Protagonisten allerdings nicht sonderlich viel mit, sie reisen nach Spanien um den seltsamen Phänomenen auf den Grund zu gehen. Dort treffen sie auf einen mysteriösen Hund, der ihnen deutlich macht, dass sie ihm folgen sollten. Er führt sie zu einer weiteren Frau nach Galizien und bedeutet der nun fünfköpfigen Gruppe, ihm weiterhin zu folgen. Da das Auto sie nicht alle transportieren kann und das Benzin ohnehin knapp wird, ziehen sie mit einer Kutsche los, um sich den Bruch in den Anden anzusehen. Geld verdienen sie mit Handel, um die politischen Gegebenheiten kümmern sie sich nur, wenn diese sie selbst betreffen. In der Zwischenzeit bricht eine globale Krise aus, da noch nicht bekannt ist, wohin die iberische Halbinsel nun driftet und wo sie stehen bleiben wird, was viele Länder, allen voran die USA, sehr beunruhigt. Und so spitzt sich die politische Lage immer weiter zu, während das Volk immer mehr in seinen Glauben an Wunder und die alten Mythen verfällt…
Nobelpreisträger Saramago ist mit diesem Roman ein ganz großes Werk gelungen, das sowohl den Aberglauben und die Träumereien seiner portugiesischen Landsleute als auch die globalen und nationalen politischen Strukturen entlarvt, die in Krisensituationen zuverlässig ihr wahres Gesicht zeigen. Obwohl in den 1980ern zuerst veröffentlicht (es wurde dieses Jahr neu herausgebracht), zeichnen sich eben jene politischen Strukturen, sowie der Aberglaube der Menschen und die Reaktionen der Kirchen durch brisante Aktualität aus. Die Beschreibungen der Politiker, der Reaktionen der Bevölkerung verschiedener politischer Lager und die daraus resultierenden Konflikte hätten ebenso gut im Jahre 2015 als Antwort auf die aktuellen Krisen geschrieben werden können, was vor allem die Außenpolitik als starres, immer den gleichen Mustern folgendes Instrument aufzeigt. Doch auch die Reaktionen der Bevölkerung auf verschiedene gesellschaftliche Schwierigkeiten, die mit einer Krise einhergehen, scheinen sich nicht sonderlich verändert zu haben: Angst, Missgunst, Neid, Abneigung, Fremdenhass, aber auch Solidarität, Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft und Zuneigung sprudeln geradezu aus den Menschen heraus und führen zu weiteren Spannungsfeldern
„Der Mensch ist ganz ohne Zweifel ein intelligentes Wesen, jedoch nicht im gewünschten Maße, und mit dieser geständnishaften demütigen Feststellung müssen wir allemal zuerst bei uns selber ansetzen, wie man es von der wohlverstandenen Mildtätigkeit erwartet, ehe man uns bezichtigend Versagen vorwirft!“.
Dies alles macht den Roman zu einem zeitlosen Werk, Saramagos Gedankenspiel zeichnet auf eindrucksvolle Art und Weise die Psychologie verschiedener Gruppen in Zeiten völliger Hilflosigkeit, was einerseits beeindruckend ist und den Leser andererseits in Anbetracht aller politischen Schwierigkeiten, die es in den kommenden Jahren zu lösen geben wird, ein wenig pessimistisch stimmt. Dennoch, oder gerade deshalb, ist der Roman absolut lesenswert, zumal Saramago all dies mit seinem ganz speziellen Humor und seiner poetischen, verträumten Sprache darlegt. Klare Empfehlung meinerseits.
José Saramago
Das steinerne Floß
Paperback, 400 Seiten
Verlag: Atlantik
ISBN: 978-3455650761