Das literarische Quartett: Die Geister, die ich rief.

Das literarische Quartett: Die Geister, die ich rief.

Ich zitiere:
Vielleicht noch ein Wort zu Helmut Karasek. Ich glaube, er hat sich verabschiedet und es war sein letzter Gag, weil er diese Sendung nicht mehr sehen wollte.

Mit diesen, meines Erachtens leicht deplatzierten Worten stellte sich Maxim Biller, seines Zeichens Schriftsteller und Kolumnist (FAZ), unrasiert und mit lasziv aufgeknöpftem Hemd als offensichtlicher Bad Boy Biller des neuen, literarischen Quartetts vor. Mit gelangweiltem Blick und einer optisch wie auch verbal ablehnenden Haltung gegen alles und jeden versuchte er offensichtlich jene Lücke zu schließen, die einst Marcel Reich-Ranicki hinterlassen hat. Das misslang natürlich, denn im Gegensatz zu Reich-Ranicki schaffte es Biller nicht, sich selbst als ernst zu nehmende Persönlichkeit zu präsentieren. Ganz im Gegenteil, denn wenn man seine schon gekünstelt wirkenden, destruktiven Kommentare („Trojanow ist kein Schriftststeller!„) mit seiner überheblichen Selbstdarstellung erlebte, bekam man von ihm mehr den Eindruck einer Hyäne, die nur darauf wartet, das nächste Mal zubeißen zu können. Und dass er das kann, wissen wir spätestens seit seinem Buch Esra. Ach ja, es darf immer noch nicht verkauft werden (hoppla, da macht sich Amazon ja strafbar, oder?). Zumindest kennt sich Maxim Biller ja damit aus, die Persönlichkeitsrechte anderer nicht so ernst zu nehmen, mit ihm scheint also die Position des unsympathischen Querschlägers perfekt besetzt zu sein.

Links von Maxim Biller saß Christine Westermann, die wir unter anderem aus der Sendung Zimmer frei kennen. Frau Westermann soll wohl die Funktion der Grande Dame übernehmen, die dem Quartett durch eine gereifte Urteilsfähigkeit und literarischen Sachverstand einen intellektuelleren Anstrich verpassen soll, als es die Herren links und rechts von ihr vermochten. Diese Position hat sie ganz gut besetzt, auch wenn sie sich noch nicht so recht zu wehren wusste. Vielleicht hat mir Frau Westermann auch daher gut gefallen, da ich bei ihr das Gefühl hatte, dass es ihr tatsächlich um die Rezension von Literatur und weniger um eine Selbstdarstellung ging. Und wenn Herr Biller meinte, dass sie zu sehr auf Kleinigkeiten geachtet und nicht das große Ganze zu erfassen vermocht habe, so ist er wohl anscheinend ein Leser, der gerne mal die Seiten überfliegt und der Meinung ist, sich nicht mit einzelnen Zeilen aufhalten zu müssen. Manchmal sind es nun einfach mal die Kleinigkeiten, die uns in einem Roman stören – wie ein fauler Apfel, der die ganze Obstkiste versaut. Ich hoffe, dass Frau Westermann auch weiterhin einen kritischen Blick auf literarische Details werfen wird.

Ich gebe zu, dass ich Volker Weidermann Unrecht antue, wenn ich ihm fehlende Intellektualität bescheinigen würde, denn immerhin hat er ja 2009 den Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik erhalten. Aber da hat er vermutlich einen anderen Anzug getragen bzw. einen vernünftigeren Friseur besucht. Weidermann sah mit seiner windschiefen Frisur und dem blauen Anzug wie ein VIVA-Moderator aus und visualisierte nur unzureichend sein hohes literarisches Urteilsvermögen. Wenig hilfreich war hier seine doppelte Funktion, denn er musste nicht nur rezensieren, sondern auch moderieren, was angesichts von vier Büchern in 45 Minuten einen recht hektischen Eindruck hinterließ. So vergingen z.B. von seinem besinnlichen Hinweis auf Helmut Karaseks Tod bis zu Billers Fast-Entgleisung gerade mal 100 Sekunden. Aber auch wenn ich der Meinung bin, dass er in der ersten Sendung einen profillosen Eindruck vermittelte, so glaube ich doch, dass Weidermann seine Sache in Zukunft gut machen wird.

Juli Zeh hatte gegenüber allen anderen einen großen Vorteil: sie war der Gast und musste keiner bestimmten Rolle gerecht werden, sondern konnte einfach sie selbst sein und sich ganz der Literatur widmen. Das spürt man meines Erachtens auch in ihrer Argumentation, die leider zu oft unterbrochen wurde. Nichtsdestotrotz hat sie einen guten Eindruck hinterlassen.

Das literarische Quartett hat ein großes Problem. Mit der Entscheidung, den Namen einer schon Kult gewordenen Kultursendung zu übernehmen, in der zumindest drei großartige und vor allem einzigartige Charaktere der Literaturszene wirkten, hat man die Messlatte so hoch gehängt, dass man sie schon fast nicht mehr zu überspringen vermag. Entsprechende Ankündigung in den Medien im Vorfeld, dass DAS literarische Quartett neu aufgelegt wird, schürten das Feuer einer Vorfreude sowie die Frage, ob es denn genau so gut wie damals werden könne. Da hilft es auch nicht, im neuen Format alte Geister zu imitieren oder mit ihnen ähnlichen Rollen besetzen zu wollen. Westermann, Weidermann und Biller (und natürlich Juli Zeh als Gast) konnten letztendlich nur versagen, da wir Zuschauer eine so unglaublich hohe Erwartungshaltung hatten, die überhaupt nicht erfüllt werden konnte, denn die Figuren, die das Spiel des literarischen Quartetts zu dem machten, was die Begrifflichkeit heute in uns auslöst, gibt es leider nicht mehr. Und so sitzen wir natürlich folgerichtig vor dem Fernseher und wünschen uns frustriert Reich-Ranicki, Karasek und Löffler zurück.

Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.

Aber wir müssen uns auch selbst die Frage stellen, ob dies denn gerecht ist. Vielleicht müssen wir Literaturbesessenen uns ebenfalls von alten Geistern lösen und gemeinsam mit den frischen Gesichtern einen Neuanfang wagen, schon der Literatur zuliebe, denn um sie geht es ja letztendlich. Und ganz in diesem Sinne sollte man dem literarischen Quartett auch eine Chance lassen, sich neu zu finden – oder besser – neu zu erfinden, denn die neuen Protagonisten müssen erst noch herausfinden, auf welchem Sessel sie denn eigentlich sitzen. Und so hoffe ich auch, dass die gestrige Sendung der Neuanfang von etwas ganz Wunderbarem wird und bin bereit, mich den neuen Geistern zu stellen.

Aber bitte, bitte … schmeißt diese hässlich grauen Sessel raus und besorgt euch zwei anständige Lesesofas.

Ach ja, apropos Literatur.
Um diese Bücher ging es:

Péter Gárdos: Fieber am Morgen
Gebundene Ausgabe,
256 Seiten
Verlag: HOFFMANN UND CAMPE VERLAG GmbH
ISBN: 978-3455405576

Karl Ove Knausgård: Träumen
Gebundene Ausgabe,
800 Seiten
Verlag: Luchterhand Literaturverlag
ISBN: 978-3630874142

Chigozie Obioma: Der dunkle Fluss
Gebundene Ausgabe,
313 Seiten
Verlag: Aufbau Verlag
ISBN: 978-3351035921

Ilija Trojanow: Macht und Widerstand
Gebundene Ausgabe,
480 Seiten
Verlag: S. FISCHER
ISBN: 978-3100024633