Maggie, eine junge Frau Anfang dreißig, hatte bis vor kurzem eine gut bezahlte Position in einem Interent-Unternehmen, bis ihre Stelle wegrationalisiert wurde. Seither treibt sie arbeits- und ziellos durch ihr neues Leben, das neben dem gesellschaftlichen Verlust auch von Geldsorgen geprägt ist. Trost findet sie allein im „Dragonfly“, dem kleinen und furchtbar chaotischen, antiquarischen Buchladen, in dem sie ganze Vormittage im Lesesessel verbringt und eine Schmonzette nach der anderen verschlingt. Dabei freundet sie sich mit dem Besitzer Hugo und seinen Mitarbeitern an und wird nach kurzer Zeit – natürlich nur „Übergangsweise“ – selbst zur Angestellten, die mit ihrem Fachwissen über das Web und Marketing dem vermodernden Laden zu neuem Glanz verhilft. Derweil sorgt sich Maggies bester Freund um ihre Karriere und verhilft ihr zu Kontakten in besser gestellten Kreisen, die sie wieder zurück auf die Überholspur bringen sollen. Doch die in einer alten Lady Chatterley-Augabe von D. H. Lawrence gefundenen, leidenschaftlichen Botschaften eines Liebespaares sowie die Tatsache, dass der vor kurzem erst kennengelernte Fahrradnarr Rajhit nicht nur verdammt gut aussieht sondern auch noch außergewöhnlich galant und sicherlich mehr als nur eine Sünde wert ist, drohen Maggie aus der gerade gefundenen Erfolgsspur schleudern zu lassen.
Es ist wirklich ganz entzückend, was Shelly King da mit Ihrem Debüt gelungen ist. Ein bisschen Notting Hill und ein bisschen E-Mail für Dich vermischt mit einer Prise Web-Affinität und jeder Menge verstaubter, antiquarischer Bücher – das ist die Welt, in der Maggie lebt und in der ganz alltägliche Probleme durch kleine, an den Seitenrändern hingekritzelte Liebesbeweise in den Hintergrund gedrängt werden. Es ist kein Buch, das uns mit besonders raffinierter Sprache oder gedanklichem Tiefgang aufwartet, sondern eines, welches uns mit wunderbar beschriebenen Szenen in einem ziemlich chaotischen Buchladen erfreut und uns ebenso emotional rührend an der zaghaften und dennoch leidenschaftlichen Liebesgeschichte von Maggie und Rajhit teilhaben lässt (ich meine mitzittern … warum sind Frauen immer so kompliziert?) und das uns in jeder Hinsicht zeigt, dass Geld nicht das Wichtigste im Leben ist, denn trotz viel Spass und Heiterkeit gibt es auch traurige Momente. Immer dabei sind Maggies Freunde und eine reichlich unleidlicher Kater namens Grendel. Manchmal skurril, manchmal schrullig, oder manchmal einfach nur sich selbst im Weg stehend begleiten sie alle unsere sympathische Protagonistin auf einer Art literarischer Selbstfindung durch die Untiefen ihrer eigenen Gefühlswelt, bis sie aus einem eher ziellosen Treiben ganz neue Ziele für sich entdeckt und erwachsen wird.
Ist es ein „Frauenbuch“? Vielleicht. Es ist zumindest mal keines von jenen Büchern, auf die wir Männer uns als erstes stürzen, wenn wir einen Buchladen betreten (keine Blutflecken, Kriegsschiffe, Raketen, Bissspuren oder Mordinstrumente auf dem Cover) und in erster Linie würde ich es auch eher der weiblichen Leserschaft empfehlen. Doch ich muss gestehen, dass mich die Geschichte um Maggie in ihren Bann gezogen hat und ich das Buch kaum weglegen konnte. Sicherlich auch deshalb, da Shelly King, ihres Zeichens Mitarbeiterin im Bereich Social Media eines großen Software-Unternehmens, es wunderbar geschafft hat, in ihrem Roman den heutigen Zeitgeist einzufangen, ohne dass die eigentliche Geschichte dadurch gestört wird. Insofern glaube ich, dass auch Männer diesen Roman lesen können, ohne das Cover hinter dem Buchrücken eines John Grisham verstecken zu müssen.
Auf alle Fälle ist Mr. Lawrence, mein Fahrrad und ich eine Hommage an all die kleinen Buchläden, egal ob antiquarisch oder nicht, die noch nicht von den großen Ketten aufgefressen wurden, die uns mit ihrem ganz eigenen Charme bezaubern und für uns Leseratten ein Art gemütliches Zuhause bieten, in dem wir immer willkommen sind und wo für uns jederzeit leckere, frischgebackene Kekse aus Zellstoff mit Druckerschwärze zum ungezügelten Vernaschen bereit stehen.
Wirklich sehr empfehlenswert für einen sonntäglichen lazy afternoon im Lesesessel.
Shelly King
Mr. Lawrence, mein Fahrrad und ich
Broschiert, 336 Seiten
Verlag: Kindler (27. März 2015)
ISBN: 978-3463406565