Paris, Place de Vosges: in der vornehmen Wohngegend wacht die Gardienne Lucie seit vielen Jahren über das Wohlergehen der Hausbewohner des Hauses Nr. 3. Sie wäscht und bügelt nicht nur die Wäsche ihrer Mitbewohner, sondern kennt auch genau deren Eigenarten und Lebensgewohnheiten. Ihr recht unspektakuläres Leben wird auf den Kopf gestellt, als eines Tages die Leiche von Vanessa Blandel – einer Bewohnerin des Hauses – aus der Seine gezogen wird. Abgesehen von diesem ungeheuerlichen Verbrechen sieht sich Lucie mit der Tatsache konfrontiert, dass sie vermutlich durch ihr übereifriges Einschreiten alle Beweise am Tatort verwischt hat, denn um den Haussegen zu retten, vernichtete sie durch eine heimliche Aufräumaktion in Madame Blandels Schlafzimmer die Spuren eines außerehelichen Techtelmechtels. Lucie hat nur eine Möglichkeit, ihren Faux-pas ungeschehen zu machen: sie muss den Mord an Madame Blandel selbst aufklären. Der sehr übereifrige Kommissar Legrand, der von der Pariser Polizei mit der Aufklärung des Mordes beauftragt wird, weiß ihre Bemühungen natürlich nicht zu schätzen und ist ihr dabei auch nicht gerade eine Hilfe.
Marie Pellissier hat mit ihrem doch eher ungewöhnlichen Krimi einen sehr schönen Einstieg in die Welt der Schriftsteller(Innen) geschaffen. Dank der dichten Atmosphäre und der zauberhaften Gardienne Lucie, die sich nicht nur mit der Pariser Polizei, sondern auch mit ganz alltägliche Sorgen herumschlagen muss, wie z.B. eine gerade diagnostizierte Diabetes oder die beim Waschen verfärbten Hemden eines im Haus wohnenden Musikers. Überhaupt fühlt sich ein Paris-Kenner wie ich in diesem Roman sehr wohl, denn das klassische Lebensgefühl und Treiben der französischen Metropole wurde sehr schön aufgefangen und entführt den Leser mitten in das globale Zentrum von Croissants und Clochards. Mit sehr viel Charme wird dabei aber nicht nur die Stadt, sondern auch das Leben und Wirken einer Gardienne beschrieben und man merkt sehr schnell, dass die Schriftstellerin und die Stadt der Liebe eine wohl innige Freundschaft verbindet.
Der Fall selbst ist eigentlich spannend, würde da nicht durchgehend ein gewisses französisches „laissez-faire“ im Hintergrund wirken, welches aus dem Kriminalfall die Geschwindigkeit nimmt und ihn eher gemütlich dahinplätschern lässt – aber auf eine sehr angenehme Art und Weise. Frankophile Menschen wie ich finden dies ganz wunderbar (und authentisch), doch die Freunde von atemlosen Thrillern und Blutbädern werden hier nicht auf ihre Kosten kommen. Dieser Roman lädt eher dazu ein, sich zwischen den Zeilen einen Café mit einem Croissant zu gönnen und danach wieder gestärkt durch die Straßen von Paris zu flanieren.
Marie Pellissiers Die tödliche Tugend der Madame Blandel ist vielleicht ein wenig „englischer Krimi auf französisch“ (analog dem englischen Cosy Crime Novels), und so scheint die Gardienne Lucie sozusagen auch ein bisschen das Pendant zu der über dem Teich wirkenden Miss Marple zu sein. Zwischen all den blutigen Massenmördern im Buchregal eine wohltuend ruhige und gelassene Kriminalgeschichte mit sehr viel Flair.
Mir hat das Buch gut gefallen und ich muss gestehen, dass während dem Lesen der Kaffee und die Éclairs besonders lecker schmeckten. Ich kann mir sogar gut vorstellen, wie sich die in Heidelberg lebende Marie Pellissier nach dem Schreiben standesgemäß bei einem Glas Wein in der Max Bar (deren Tresen tatsächlich aus einem alten Schuppen in Le Mans stammt) am Marktplatz entspannte.
Marie Pellissier
Die tödliche Tugend der Madame Blandel
Taschenbuch: 336 Seiten
Verlag: Diana Verlag (12. Mai 2014)
ISBN: 978-3453357679