In einer unbestimmten Zukunft sind in Tokyo digitale Daten zu einem der wichtigsten Handelsgüter geworden. Um den verbreiteten Datendiebstahl zu erschweren, entwickelt ein Professor eine Methode zur Kryptografie, bei der die zu schützenden Daten in den Gehirnen von professionellen Datenfälschern verschlüsselt und versteckt werden. Doch diese Prozedur überlebt nur einer der Probanden: der 35jährige Held und Ich-Erzähler. Dieser begreift nach einem ominösen Auftrag allmählich, dass die Prozedur auch gefährliche Nebenwirkungen hat.
Haruki Murakami wurde 1949 in Kyoto geboren. Nach seinem Abschluss an der Waseda-Universität in Tokio betrieb er zunächst eine kleine Jazzbar. Später verbrachte er mehrere Jahre als freier Schriftsteller und Dozent in Princeton, USA. Murakamis Leidenschaft für die Literatur begann 1974 mehr oder weniger zufällig bei einem Baseballspiel, bei dem er die Inspiration für seinen ersten Roman erhielt. Murakami schreibt nicht nur, sondern übersetzt auch Schriftsteller wie z.B. John Irving ins Japanische. Zudem wird er schon seit etlichen Jahren als Top-Anwärter des Literatur-Nobelpreis gehandelt.
Dieses Buch ist nicht nur „gut“. Dieses Buch ist eine Offenbarung. Es ist eine Ehe von beeindruckender Fantasie und feiner Literatur und auf eine Art und Weise durchdacht, die den Feinsinn des Autors für Form und Sprache erkennen lässt. Die Handlung findet in zwei Handlungssträngen statt, dem erbarmungslos realistischen Hard-boiled Wonderland und dem verträumt fantasievollen Das Ende der Welt, deren Zusammenhänge dem Leser aber zunächst verborgen bleiben. Im japanischen Original verwendet Murakami für beide unterschiedliche Ich-Formen: das eher alltägliche watashi in der realen Ebene, das für Jungs typische boku in der Fantasiewelt – in der deutschen Übersetzung geschickt durch die Verwendung unterschiedlicher Zeitformen umgesetzt. Eine Trennung der Ebenen findet aber auch grammatikalisch in den Kapitelüberschriften als auch optisch durch die Verwendung von serifenlosen und Serifenschriften statt. Daneben finden sich aber immer wieder inhaltliche Gemeinsamkeiten, z.B. im Auftauchen von Objekten und Personen, die in beiden Welten wichtige Rollen spielen. Doch erschließen sich die Zusammenhänge nicht plump sondern erst nach und nach in einer stetig wachsenden Erkenntnis des Lesers. Und trotz auftretender Spannungsspitzen ist dies keine actionlastige Literatur. Die Handlung lebt von den Gedanken des Protagonisten, der sich selbst, die Ereignisse und seine Umgebung teilweise sprunghaft und abschweifend reflektiert und dabei oftmals, von akuten Vorgängen überfordert, zu einer kalten und abgebrühten Selbstinszenierung neigt. Der abgeschnittene Schatten am Ende der Welt scheint dabei wie eine Metapher für seine daraus resultierende Oberflächlichkeit gegenüber seinen Mitmenschen und seiner Umgebung zu stehen. Ähnlich wie bei Dorothy auf dem gelben Pfad im „Zauberer von Oz“ stellt sich der Leser auch hier irgendwann die Frage, ob der Protagonist den Weg zurück in die Menschlichkeit findet.
Dieser Roman ist in der Top 10 meiner Bibliothek und wird wohl so schnell nicht verdrängt werden. Entsetzlicherweise muss ich gestehen, dass ich diese Ausgabe verbilligt in einer Remittendenkiste gefunden habe. Unglaublich. Das ist ein bisschen wie Perlen vor die Säue geworfen …
Haruki Murakami
Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt
Taschenbuch, 507 Seiten
Verlag: btb-Verlag, Verlagsgruppe Random House GmbH München
ISBN: 9783442736270