Wolf Wondratschek: Mittwoch

Wolf Wondratschek: Mittwoch

Es ist ein ganz gewöhnlicher Mittwoch im Leben der Figuren dieses Buches. Ein Amerikaner hinterlässt einen Hundert-Euro-Schein in einem Hotel, um sicherzustellen, dass er das Zimmer bekommt. Dieser Schein wandert in die Hände eines Handwerkers, der ihn bei einer Pferdewette an den Sohn des Gastwirts verliert. Dieser wiederum trägt ihn in ein Bordell. Von dort aus wandert er über einen Friseursalon zu einem Tabakladen in dem ältere Männer stehen und bei einer Zigarette über das Leben philosophieren. Und jeder einzelne dieser Menschen hat eine Geschichte, die gerade genug umrissen wird, um sie einigermaßen erkennen zu können. Als würde man sie durch den dichten Zigarettenqualm der alten Männer betrachten. So hat der Handwerker eine Schwäche für Pferde, der Sohn des Gastwirtes ein schwieriges Verhältnis zum Vater, die Prostituierte eine Vergangenheit mit einem Boxer, die Friseurin eine mögliche Zukunft als Prostituierte und jeder der alten Männer eine Frau in ihrem Leben, die ihnen auf irgendeine Weise zusetzt. Kurz gesagt, es handelt vom alltäglichen Mensch-Sein.

All diese Geschichten erzählen vom Leben, Kämpfen, Scheitern und Weitermachen und sie alle sind mit solch einer Leichtigkeit erzählt, dass einem die Weite ihrer Tragik nicht aufs Gemüt schlägt. So hält der Gastwirt seinen Sohn für einen Nichtsnutz, weil dieser anders geworden ist, als er es sich erhofft hatte, ohne zu merken, dass er selbst es war, der den Sohn auf diesen Lebensweg getrieben hat. Die alten Männer wiederum, versuchen, zu rekapitulieren, woher ihre eigenen Probleme kommen und auch wenn die Erklärungsversuche mitunter ein wenig absurd anmuten, hat man mit dem ein oder anderen richtiggehend Mitleid. So wollte der eine zum Beispiel unvergessliche Flitterwochen für sich und seine Frau organisieren, doch diese hielt nichts von Reisen und so blieben sie „seit der Hochzeit zu Hause“. Ein anderer wiederum äußert nichts außer dass er glaube, er sei seiner Frau immer nur im Weg gewesen. Auch wenn dies nicht weiter erläutert wird, sind es kurze Sätze wie diese, die einen irgendwie berühren und das Buch zu etwas besonderem machen.

Wondratschek selbst hat mit Leben, Kämpfen, Scheitern und Weitermachen so einige Erfahrungen gemacht. In den siebziger und achtziger Jahren als Schriftsteller und für sein ausschweifendes Leben gefeiert, in den Neunzigern immer wieder verrissen und mit deutlichen Kratzern in der Aura des „Rockstar-Poeten“, zog er sich nach Wien zurück, wo sich der Ton seiner Arbeiten deutlich änderte. Er wurde leiser, feinsinniger und begann, auf andere Weise zu beobachten. Mit Mittwoch beglückt er uns einmal mehr mit der Poesie des Alltäglichen und zeigt uns, dass man auch aus vermeintlichen Banalitäten schöne Geschichten schreiben kann.

Wolf Wondratschek
Mittwoch

Taschenbuch, 248 Seiten
Verlag: dtv
ISBN: 978-3423144087