Lissabon im Sommer 1940: Tausende von Flüchtlingen haben sich in der Stadt versammelt, weil es der einzig neutrale Hafen der Stadt ist. Sie alle warten auf das nächste Schiff nach Amerika. Unter ihnen sind die Frelengs und die Winters, Iris und Edward und Julia und Pete. Die zwei ungleichen Paare begegnen sich in einem Café und verbringen von da an viel Zeit miteinander. Schon bald wandeln sich die Beziehungen der vier zueinander und ihre Leben stehen plötzlich ebenso am Abgrund wie das vom Krieg bedrohte Europa: Zwischen Edward und Pete entwickelt sich allmählich eine von Leidenschaft getriebene Affäre, die sie beide zunächst von ihren Frauen zu entfremden scheint. Aber während sie alles dafür tun, ihr Verhältnis vor Julia geheim zu halten, scheint Iris sich zunächst um den Umstand nicht sonderlich zu kümmern. Sie tritt Pete gegenüber gleichgültig auf und scheint die Affäre ihres Mannes zu billigen. Pete entdeckt allerdings relativ schnell, dass Edward gänzlich andere Vorstellungen von ihrem Verhältnis hat als er selbst und so avanciert die Affäre allmählich zu einem Machtspiel zwischen den beiden und Iris, bei dem es keinen Gewinner geben kann, das das Leben der vier allerdings grundlegend verändert. Als er dabei ist, alles zu verlieren, erkennt Pete, dass man oftmals über den Menschen, der einem am nächsten steht, am wenigsten weiß …
Leavitts Roman ist hervorragend aufgebaut, es wird immer nur so viel preisgegeben, dass man als Leser in den Handlungsstrudel gesogen wird und immer weiter lesen muss, weil man unbedingt erfahren möchte, wie es mit den Charakteren weitergeht und welche ihrer Geheimnisse noch ans Licht kommen. Diese Spannung wird bis zum letzten Kapitel aufgebaut, das wiederum die Entwicklung der gesamten Geschichte wie ein Vorschlaghammer zertrümmert und in eine ganz andere Richtung weist. Ich kann mich nicht entsinnen, jemals ein derart antiklimatisches Ende gelesen zu haben und genau das, diese ungewöhnliche Struktur, ist es auch, was das Buch so besonders macht. Besonders ist auch die Beschreibung der Stadt und die Art, wie die Charaktere die Umgebung wahrnehmen. Allerdings muss an dieser Stelle angefügt werden, dass es keinen wirklichen Identifikationspunkt in dem Roman gibt: wer gerne Bücher liest, bei denen er sich in die Hauptperson hineinführen kann, dürfte sich bei diesem Roman schwer tun. Mich hat es allerdings weniger gestört, da das Buch zwar aus der Sicht Petes geschrieben ist, der Fokus aber auf der Dynamik zwischen den Personen liegt, wodurch man gar nicht so sehr in Versuchung kommt, für eine Person Partei ergreifen zu wollen.
Fast greifbar hingegen ist die Stimmung der Stadt, die Verzweiflung vieler, die vor allem weg aus Europa wollen und in Lissabon gestrandet sind. Die Art wie Leavitt dies beschreibt, gibt der Geschichte der beiden Paare nochmals zusätzlich eine beklemmende Hintergrundstimmung, die ich sehr gelungen finde.
David Leavitt
Späte Einsichten
Hardcover, 304 Seiten
Verlag: Hoffmann und Campe
ISBN: 978-3455404975