Giulia und Camilla, zwei alte Damen edler Herkunft und herrschaftlichen Gemütes, bewohnen gemeinsam einen heruntergekommenen, florentinischen Palazzo, den sie nur noch einmal wöchentlich für einen Leseabend verlassen. Den Rest der Woche verbringen sie damit, sich über die überteuerten und vergammelten Essenslieferungen ihres Metzgers zu echauffieren. Dieses und jegliches andere Ungemach einer ihnen fremd gewordenen Welt können die beiden nur noch dank einer täglichen Prise Koks und den Erinnerungen an bessere Zeiten ertragen. Bis eines Tages gänzlich unvermittelt ihr Dealer nicht mehr auftaucht und die, ihrer eigenen Einschätzung nach, wohl letzten echten Prinzessinnen dieser Welt ihr Refugium verlassen müssen, um den dringend benötigten Nachschub zu organisieren. Diese Entscheidung droht Florenz in seinen Grundmauern zu erschüttern.
Es sind wirklich zwei üble, alte Schachteln. Stellen Sie sich die übelste Sorte (gebildeter) Ekelpakete vor, die alles besser wissen und Ihnen mit einem süffisanten Lächeln im Gesicht das Bein stellen, damit Sie wieder dahin fallen, wo wir der hochherrschaftlichen Damen Meinung nach hingehören: in den Kreis der Dienerschaft und des niedrigen Fußvolkes. Und nun versuchen Sie, für diese Schachteln auch noch Sympathien zu entwickeln … schwer vorstellbar, oder?
Genau das macht den Einstieg auf den ersten Seiten etwas schwer. Zwar belächelt man die Damen und bringt für das ein oder andere sonderbare Verhalten Verständnis auf, aber so richtig warm wird man mit Ihnen nicht. Doch die liebevoll weltfremden Dialoge der alten Damen und ihre nicht ganz Drogenrausch-freie Beurteilung scheinbar alltäglicher Begegnungen ziehen uns in ihren Bann und erfreuen uns mit einer feinen Situationskomik, die dazu führt, dass man als Leser den alten Schachteln sprichwörtlich die Daumen drückt und das Gelingen ihrer perfiden Pläne unterstützen möchte. Hilfreich ist dabei auch das schön beschriebene, florentinische Flair und die teilweise skurilen Ideen, wie z.B. die Erinnerung an verblichene Ehemänner in Form von Fischen in einem Aquarium aufrecht zu erhalten. Gelegentlich stellt man sich zwar die Frage, ob die Debatten das Ergebnis einer zauberhaften Vertrottelung oder von eiskalter Berechnung sind, das behindert aber die wachsenden Zuneigung für die alten Damen nicht. Aber trotz aller gewonnener Liebe: vielleicht ist die am Ende erfolgende beinahe-Heiligsprechung der alten Schachteln ein klitzeklein wenig übertrieben.
Das Buch hat zudem eine nicht uninteressante Spannungskurve. Ich habe in anderen Rezensionen von langatmigen Stellen und spannungslosen Tiefen gelesen, kann mich aber diesen Meinungen nicht anschließen, da für mich der Kern der Geschichte eben nicht die im Klappentext beschriebene Suche nach den Drogen, sondern das Verhältnis der gedanklich in einer glorreichen Vergangenheit verbliebenen Giulia und Camilla zu den modernen Zeiten ist, mit denen sie nur mühsam zurecht kommen. Zwar scheint das Buch in erster Linie ein Kriminalroman zu sein, doch könnte man es ebenso gut als Erzählung mit kriminalistischem Hintergrund durchgehen lassen. Dies würden den feinen Dialogen der alten Damen auch eher gerecht werden. Aus diesem Grunde ist er bei mir auch in der Kategorie Roman & Erzählung zu finden.
Wer bereit dazu ist, sich auf die alten Schachteln einzulassen und dabei keinen Drogen-Thriller erwartet, wird sicherlich viel Spaß mit ihnen haben. Ich könnte mir sogar gut vorstellen, noch mehr von Ihnen lesen zu wollen. Andererseits rate ich Ihnen, bei einer drohenden Begegnung mit zwei gleichzeitig auftauchenden, betagten Prinzessinnen auf dem Gehweg die Straßenseite schnellstmöglich zu wechseln und sich dann möglichst unauffällig zu verdrücken.
Enzo Pileno Carabba ist auch eher unauffällig, zumindest im deutschsprachigen Web. Tatsächlich ist der 1966 geborene Carabba aber ein sehr aktiver und bekannter italienischer Autor und Publizist, der unter anderem 1990 den Preis Premio Calvino erhielt, der insbesondere herausragende Jungautoren der zeitgenössischen italienischen Literatur auszeichnet. Des Weiteren schreibt er Kurzgeschichten, Gedichte, Librettis, Kinder- und Jugendliteratur und ist an vielen literarischen Projekten, z.B. in Haftanstalten, beteiligt. So ganz nebenbei war er auch mal Tauchlehrer.
Enzo Pileno Carabba
Wie zwei alte Schachteln einmal versehentlich die Welt retteten
Taschenbuch: 224 Seiten
Verlag: btb Verlag (12. Mai 2014)
ISBN: 978-3442747436