Eine Dystopie allererster Güte: in einer völlig übervölkerten Welt, in der die Menschheit kategorisiert wird und dementsprechend Zugang zu Nahrung und frischem Wasser enthält, wächst der junge Jimmy auf, dessen Eltern für einen Konzern arbeiten, der Tiere genetisch modifiziert, um möglichst effiziente Nahrung zu produzieren. In allem eher mittelmäßig, ist Jimmy fasziniert von dem überdurchschnittlich intelligenten und begabten Crake. Dessen Freundschaft verdankt er es später auch, dass er eine Stelle in besagtem Konzern erhält, in dem schon seine Eltern gearbeitet haben. Dort lernt er auch die gleichermaßen faszinierende wie mysteriöse Oryx kennen, die eine äußerst ambivalente Beziehung zu beiden Männern entwickelt. Obwohl Crake Jimmy Stück für Stück in seine Pläne einweiht, begreift dieser nicht, worauf genau diese hinauslaufen sollen und ehe er sich versieht, findet er sich als letzter Mensch auf Erden mit einer Gruppe genetisch modifizierter Menschen (von Crake nach sich selbst Craker benannt) wieder, zu deren „Anführer“ Crake ihn ausersehen hat. Getrieben von einer Art Verantwortungsbewusstsein und Oryx’ Stimme in seinem Kopf, versucht er, sein eigenes Überleben und das der Craker in einer feindlichen Umgebung zu sichern.
Margaret Atwood, 1939 in Kanada geboren, lehrte Literaturwissenschaften an diversen Universitäten und thematisiert in ihren Romanen oftmals die Stellung der Frau in der Gesellschaft, setzt sich aber auch mit anderen aktuellen gesellschaftlichen Problemen sowie Umweltfragen auseinander. Oftmals bewegt sie sich dabei im literarischen Umfeld der Dystopien und SF. Ihr bekanntestes Werk dürfte der Roman The Handmaid’s Tale sein, der 1985 mit dem Governor General’s Award for Fiction, dem wichtigsten Literaturpreis Kanadas, ausgezeichnet und 1990 von Volker Schlöndorff unter dem Titel Die Geschichte der Dienerin verfilmt wurde.
Das Buch Oryx und Crake zählt zu meinen absoluten Lieblingen, weil es zwar in das Genre der Science Fiction fällt, es aber aus Sicht heutiger Ressourcenknappheit und der Möglichkeiten in der Genetik nicht schwer fällt, sich in das Szenario zu versetzen. Vor allem Jimmy, der die sich anbahnende Katastrophe in mehreren Momenten direkt vor Augen hat, sie aber entweder nicht sehen kann oder will, ist in seiner Naivität, Begriffsstutzigkeit und Verzweiflung eine sehr gut durchdachte, tragikkomische Hauptfigur. Insbesondere sein Kampf gegen die genetisch modifizierten Schweine, die von der neuen Welt mehr Ahnung zu haben scheinen als er selbst, ist für mich ein spannender und ironischer Höhepunkt, der zugleich skurril und dramatisch ist.
Für Anhänger ökologischer Dystopien ist dieses Buch aus meiner Sicht ein absolutes Muss, doch auch jene, die mit dem Genre bislang nicht viel anfangen konnten, sollten diesem Buch unbedingt eine Chance geben, das ist es auf jeden Fall wert.
Margaret Atwood
Oryx und Crake
Taschenbuch, 384 Seiten
Verlag: Berlin Verlag Taschenbuch (10. März 2014)
ISBN: 978-3833309632