Daniel Anselme: Adieu Paris

Daniel Anselme: Adieu Paris

An dieser Stelle mal eine nicht romantisch-verträumte Parisgeschichte, sondern eine, die sich mit einem dunklen Kapitel Frankreichs befasst, nämlich mit dem Algerienkrieg in den 1950er Jahren, im Zuge dessen etliche junge Männer als Soldaten ins Ausland geschickt wurden und in ihrem Land selbst mit ziemlicher Gleichgültigkeit empfangen wurden, da man über diesen Krieg nicht redete. Im Zentrum des Geschehens stehen drei junge Soldaten, die über Weihnachten Heimaturlaub machen dürfen und zunächst voller Vorfreude darauf sind, wieder in Frankreich zu sein. Bald darauf stellen sie jedoch fest, dass die Veränderungen, die sie im Kriegsgebiet gemacht haben, ihnen höchstens eine körperliche Rückkehr ermöglichen. Unteroffizier Lachaume muss feststellen, dass seine Frau sich von ihm entfremdet hat und verbringt seine Zeit in der Heimat in einem heruntergekommenen Hotel. Der ihm unterstellte Soldat Valette lädt ihn ein, Weihnachten mit ihm und seiner Familie zu verbringen, doch auch da ist die Stimmung alles andere als gut. Vor allem, als Valettes Schwager zur Runde stößt, der eine Anti-Kriegs-Parole nach der anderen in den Raum wirft und furchtbar intellektuell wirkt, aber keinen konkreten Vorschläge zu einer Lösung der misslichen Situation hat, gegen die er vermeintlich ankämpfen möchte. Lachaume und Valette erkennen bald, dass sie sich in der Runde fehl am Platz fühlen und verlassen das Familienessen um die Nacht alleine in der Stadt zu verbringen. Dort treffen sie auf ihren Kameraden Lasteyrie, der eigentlich vorhatte, sich die Nacht mit einem Mädchen um die Ohren zu schlagen, das ihn jedoch versetzt hat. So zieht es die drei gemeinsam in das Pariser Nachtleben, doch egal, wen sie treffen, sie fühlen sich immer wie Ausgestoßene, da sie für den Krieg stehen, der in ihrem Land totgeschwiegen wird und von dem die Menschen nichts wissen wollen. So gehen die paar Tage des Heimaturlaubs herum und je näher der Moment der Abreise rückt, desto mehr wird den dreien bewusst, dass sie sich in einer hoffnungslosen Situation befinden und noch lange befinden werden: denn so wenig sie an die Front zurück möchten, so sehr wird ihnen bewusst, dass sie als Teil etwas, das demonstrativ ignoriert wird, auch nicht mehr zurück in ihr altes Leben können. Und so steigert sich mit der Erwartung des Zuges, der sie weg aus Frankreich bringt, auch die Verzweiflung…

Interessant ist bei diesem Roman nicht nur die erzählte Geschichte, sondern auch die Geschichte des Buches selbst. 1957 erstmals veröffentlicht, wurde es, wie der Algerienkrieg selbst, zunächst jahrelang mehr oder weniger ignoriert. Dass der Autor, gebürtig Daniel Rabinovitch, selbst in der Résistance gegen den Krieg aktiv war, hat diesem Umstand nicht gerade geholfen. Er war zudem zu der Zeit ein bekannter Journalist und Reisender, der um die Welt fuhr, um die Geschichten jener zu sammeln, denen sonst keiner zuhörte. Bekannt war er auch dafür, diese in den Pariser Cafés zum Besten zu geben. Er starb im Jahre 1989 und seine Schriften werden allmählich nach und nach wieder entdeckt. Was ich besonders interessant an dem Roman finde, ist, dass er das merkwürdige Schweigen der französischen Literatur zum Algerienkrieg durchbricht und nicht nur erzählt, was ein Krieg mit den Menschen anstellt, sondern auch, welche Auswirkungen das Totschweigen für die Betroffenen hat. Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass genau jene auf die Schippe genommen werden, zu denen viele in Anselms Metier gehörten: Intellektuelle, die sich offen gegen den Krieg aussprechen und viel darüber reden, ohne tatsächliche Pläne für ein Handeln zu haben. Es ist auf jeden Fall eine interessante Wiederentdeckung, da von den Geschehnissen nicht aus der Retrospektive berichtet wird, sondern mit durch den Blick eines Menschen, der Zeuge dieses fast schon grausamen Schweigens wurde und der mit viel Scharfsinn erkannt hat, welche Probleme das für die Zukunft der Soldaten und der Gesellschaft haben würde.

Ein hochgradig politischer Anti-Kriegs-Roman aus dem Herzen der Résistance über ein kaum bekanntes, weil selten diskutiertes, Thema französischer Geschichte, also. Mal ungeachtet dieser Stellung muss noch angemerkt werden, dass es Anselme gelungen ist, die Stimmung dieser Tage sehr gut einzufangen. Man kann die Verzweiflung der drei Männer und die in der Luft liegende Beklemmung aller Seiten richtig nachfühlen.

Daniel Anselme
Adieu Paris

Gebundene Ausgabe, 208 Seiten
Verlag: Arche
ISBN: 978-3716027196