Bei diesem Werk Dieter Fortes weiß ich nicht so recht, wo ich anfangen soll. Erzählt wird von Menschen, Erzählungen, Bildern (linguistischer und künstlerischer Natur), vom Mit- und Gegeneinander. Im Mittelpunkt steht jedoch stets das Erzählen selbst, „denn die Geschichten der Menschen sind das Leben der Welt und seine Erzählungen die immer neue Interpretation“. (Forte, S. 21) Beschrieben werden die Auswirkungen der Erzählungen und Bilder auf den Zuhörer, die Gesellschaft und letztlich auch auf den Erzählenden selbst. Dabei bleibt das Buch stets selbst eine Erzählung, der Autor erhebt, zumindest nach der üblichen Definition des Wortes, keinen Wahrheitsanspruch. Wahr ist für ihn, was erzählt wird und nur die Erzählung zählt, denn etwas anderes haben die Menschen ohnehin nicht, um die Wahrheit abzubilden.
Letztendlich geht es um die Frage nach der Bedeutung der Kunst für eine Gesellschaft und es wird deutlich, dass all das, worüber wir uns definieren, ohne das Wort und die Möglichkeit des Erzählens nicht zustande käme. Verdeutlicht wird dies mit einer kurzen Geschichte der menschlichen Gesellschaft vor dem Hintergrund der Stadt Basel, in der der Autor seit etwa vierzig Jahren lebt. Protagonisten sind Künstler, Denker, Drucker, Kupferstecher, Alchimisten, Kaufleute, Wissenschaftler, Narren und Politiker. Ihre einzelnen Geschichten werden verwoben zu einer Geschichte einer Stadt.
Zu sagen, das Buch hätte mich begeistert, wäre noch deutlich untertrieben. Forte hat ein Werk geschaffen, das deutlich macht, wie wichtig das Erzählen, Geschichten und Geschichte für das sind, was wir als unsere Zivilisation betrachten. Die Art und Weise, wie er das erzählt, ist einfach großartig. Ich habe selten ein derart poetisches und sprachlich hochwertiges Plädoyer für die Kunst des Erzählens gelesen. Möglicherweise spricht da die Literaturwissenschaftlerin aus mir, aber die elegante, leichte Art, in der die Sprache hier zum Einsatz kommt, hat mir so einige Glücksmomente beschert.
Deshalb meine Aufforderung:
Jeder, der Geschichten und Worte liebt, sollte dieses Buch lesen.
Kleine Ergänzung aus der Redaktion:
Im Gegensatz zu Frau Serdar-Kissel war mir selber Dieter forte kein Begriff, so dass ich mal wieder ein bisschen bei Wikipedia recherchieren musste: Dieter Forte absolvierte nach der Schule eine kaufmännische Ausbildung. 1960/61 hospitierte er am Düsseldorfer Schauspielhaus unter Karl-Heinz Stroux, 1962/63 erhielt er ein Autorenstipendium und arbeitete unter Egon Monk (auch als Regieassistent und Lektor) in der Fernsehspielabteilung des Norddeutschen Rundfunks in Hamburg. Danach lebte er als freier Schriftsteller in Düsseldorf. 1970 ging Forte in der Nachfolge von Friedrich Dürrenmatt als Hausautor an das Basler Theater, wo er mit Werner Düggelin und Hermann Beil zusammenarbeitete. Bekannt geworden ist er als Dramatiker, zahlreiche Hörspiele und Fernsehfilme machten ihn auch einem breiteren Publikum bekannt als Seismograph der bundesdeutschen Wirklichkeit. 2004 erschien der Roman „Auf der anderen Seite der Welt“. Er reflektiert die 50er Jahre in einem Lungensanatorium auf einer Nordseeinsel. Die Abgeschiedenheit kontrastiert dabei mit den Veränderungen, die die Wirtschaftswunderzeit mit sich bringt – eine Dantesche Reise in den Tod. Diese Tetralogie fand große Anerkennung. 2005 erhielt er u.a. den Grimmelshausen-Preis, mit dem Autoren ausgezeichnet werden, die in den vorausgegangenen sechs Jahren durch ein erzählerisches Werk einen bemerkenswerten Beitrag zur künstlerischen Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte geleistet haben.
Dieter Forte
Das Labyrinth der Welt. Ein Buch
Taschenbuch, 272 Seiten
Verlag: S. Fischer Verlag
ISBN: 978-3596196562