Eigentlich noch vor “Stoner” geschrieben, wurde nach diesem jetzt auch “Butcher’s Crossing” ins Deutsche übersetzt. Die beiden Romane haben eine entgegengesetzt laufende Handlung: Während Stoner auf einer Farm aufwächst und zum Akademiker wird, beschließt der aus einer Akademikerfamilie stammende Harvard-Student Andrew Williams, dass er sich von der geistigen Welt abkehren und als Pionier im Wilden Westen versuchen möchte. In Butcher’s Crossing angekommen, schließt er sich dem Jäger Miller an, der ihn mit der Versprechung einer riesigen verborgenen Büffelherde, möglichen hohen Gewinnen und dem Versprechen auf Abenteuer lockt. Mit zwei weiteren Männern im Team brechen die beiden zur Schlucht auf, in der Miller vor einigen Jahren die Büffelherde gesehen haben will. Schon bald stellt Andrews fest, dass das Pionierleben im Wilden Westen nicht so romantisch ist, wie er sich das vorgestellt hatte: auf ihrem Weg in die Berge verdursten beinahe sie und das Vieh und eine Beschwerlichkeit folgt auf die nächste. Als sie im Tal ankommen, entdecken sie zu ihrer Verwunderung, dass Miller recht hatte und dort eine riesige Büffelherde auf sie wartet. Kurz darauf beginnt ein Blutbad ohnegleichen, Miller schlachtet die Büffel regelrecht ab, ungeachtet dessen, dass die Männer gar nicht so viel häuten können, wie er schießt. Nach einem beschwerlichen Winter in den Bergen kehren die Männer zur Stadt zurück, nur um festzustellen, dass die Welt ganz anders ist, als sie sie vermeintlich zurückgelassen haben.
John Williams’ Roman ist eine unglaublich spannende Abenteuergeschichte, aber zugleich auch viel mehr als das: hinter der Geschichte steckt auch eine gehörige Portion Kritik an der Habgier des Menschen, an den Illusionen, denen man sich immer wieder hingibt und nicht zuletzt auch an dem Festhalten an Ideen und Ideologien, die bereits im Untergang begriffen sind. Das, was William Andrews sich unter dem Wilden Westen vorstellt, scheint es so nie gegeben zu haben und wenn eine Idee davon existierte, ist sie zu der Zeit, als er sie sucht bereits dem Untergang geweiht, was er allerdings nicht wahr haben möchte. Insofern wird er zu einer tragischen Figur, deren vermeintlich neu gewonnener Lebenssinn nichts ist, als eine romantisierte Vorstellung dessen, was ihm das Land zu bieten hat. Zuweilen hat man auch den Eindruck, dass die ganze Idee, immer weiter in den „unergründlichen“ Westen zu ziehen, nichts ist, als eine Flucht vor sich selbst, die natürlich misslingen muss, da man das, was man in sich trägt, nicht los wird, nur weil man sich an einem anderen Ort befindet.
Dies ist jetzt natürlich eine ganz spezifische Lesart des Romans, man kann ihn auch als reinen Abenteuerroman genießen, ohne sich über die tiefere Bedeutung, was es heißt, ein Mensch in der Weite der Natur zu sein, Gedanken zu machen. Genau das macht den Roman aber so besonders: Man kann sich dazu entschließen, an der Oberfläche zu bleiben und die Abenteuergeschichte als solche zu genießen, man kann sich aber auch mit der Problematik und dem (übrigens sehr spannenden) historischen Kontext auseinandersetzen und findet auch auf dieser Ebene reichlich Möglichkeiten.
Somit ist „Butcher’s Crossing“ neben Kushners „Flammenwerfer“ für mich das Must-Read des Jahres 2015.
John Williams
Butcher’s Crossing
Gebundene Ausgabe, 368 Seiten
Verlag: DTV (Deutscher Taschenbuch Verlag, 1. März 2015)
ISBN: 978-3423280495